Der Ausloeser
Ringe zogen sich bis hinunter auf die Wange. »Um Himmels willen, was ist denn mit dir passiert?«
»Er will’s nicht sagen«, meinte Jenn. »Ich tippe ja auf eine Frau.«
»Wie oft denn noch? Ich bin hingefallen. Es war spät, ich hatte was getrunken, und da bin ich eben mit dem Fuß an der Matte hängen geblieben.«
»Und dann bist du mit dem Auge exakt auf den Türknauf geknallt.«
»Du sagst es.« Ian schnappte sich sein Bier und trank es in einem Zug halb leer. »War ein kurzes Match. Türknauf: eins, Ian: null. Aber ich habe mir schon einen Racheplan zurechtgelegt.« Ein Lächeln. »Frag lieber, was es bei Alex Neues gibt. Er startet eine Karriere als Krimineller.«
»Das ist nicht lustig, Mann«, meinte Alex, der ebenfalls dunkle Ringe um die Augen hatte.
»Moment, ich bestell erst mal was.«
Jenn grinste ihn an. »Ich hab schon für dich bestellt. Außer du magst keine Chilaquiles mehr.«
Mitch erwiderte ihr Lächeln; mit einem Mal war er drei Meter groß, leicht wie ein Schmetterling und vor allem unglaublich froh, dass er doch gekommen war. »Genau richtig. Danke.« Nach ein paar Sekunden brach er den Blickkontakt ab und wandte sich an Alex. »Erzähl.«
»Sein Boss will ihn als Schläger anheuern«, sagte Ian. »Er soll ein paar üble Typen aufmischen.«
Alex schüttelte den Kopf. »Könntest du bitte mal die Klappe halten? Das ist echt nicht lustig. Mein Boss ist ein …«
»Ein Arschloch?«
»Ja, das auch. Als ich gestern ins Büro gekommen bin, hat er am Safe rumgefummelt. Er hat einen Riesenaufstand gemacht, weil ich nicht geklopft hab. Ich dachte schon, ich hätte ihn beim Wichsen erwischt.« Alex schüttelte den Kopf. »Also hab ich ihn erst mal beruhigt. Ich war freundlich, hab ihn mit seinem Nachnamen angeredet, und so weiter. Und da meint er plötzlich, ich soll zu einem ›Treffen‹ mitkommen, einem Treffen nach Ladenschluss. Ein kleines Nebengeschäft, und ich soll den Bodyguard spielen.«
»Im Ernst?«
»Im Ernst. Ich habe abgelehnt, natürlich in aller Höflichkeit. Darauf er: Wenn du nicht mitmachst, bist du gefeuert. Und dass er überall rumerzählen wird, ich hätte ihn beklaut.«
»Verdammt.« Mitch konnte sich die Szene bildlich vorstellen: der schmierige, zugleich herablassende und bedrohliche Johnny Love, und der große, starke Alex, der sich das alles gefallen lassen musste. Bei diesem Gedanken musste er beinahe lächeln. Rache ist süß. Doch als er Alex in die Augen sah, hatte er sofort ein schlechtes Gewissen. Offenbar hatte sein Freund wirklich Angst.
»Okay«, meinte Ian. »Jetzt sind wir alle auf demselben Stand. Also, was wirst du tun? Machst du mit?«
»Erst dachte ich mir, okay, er zahlt mein Gehalt, also hab ich keine Wahl. Aber dann –« Die Kellnerin tauchte auf, eine Blondine mit Frettchengesicht, die vier Teller auf dem tätowierten Arm balancierte. Nachdem Ian sich ein zweites Bier bestellt hatte, schob Alex seinen Teller nach vorne und stützte sich auf die Ellenbogen. »Aber dann kam es noch schlimmer. Ich hab mich natürlich gefragt, was er da in den Safe gelegt hat. Wo er doch so ein Theater gemacht hat, als ich reingekommen bin.«
Auf einmal hatte Mitch einen Mordshunger. Er schaufelte sich Maistortillas mit Salsa verde und Hühnchen in den Mund.
»Und als er weg war, bin ich zurück ins Büro und hab nachgeschaut.«
»Wie, ›nachgeschaut‹?«, fragte Jenn. »Du kennst die Kombination?«
»Ja, aber nur durch Zufall. Vor ein paar Monaten wollte er irgendwas wissen, was in den Papieren im Safe stand, irgendeine Immobiliensache. Also hat er meinen Vorgesetzten angerufen, aber der hatte an dem Tag frei und wollte auch nicht extra reinkommen. Stattdessen hat er einfach mich angerufen und mir die Kombination gesagt – und ob ihr’s glaubt oder nicht, es ist Johnnys Geburtstag! Aus Prinzip schaut er jedes Jahr an seinem Geburtstag vorbei, nur um zu gucken, ob auch alle dran denken.«
Jenn stieß ein schrilles Lachen aus. »Dieser Johnny Love wird immer besser.«
»Eher immer schlimmer.« Als Alex die Augenbrauen zusammenzog, musste Mitch an die tanzenden Vorhänge denken, an den Wechsel von blendendem Sonnenlicht und tiefster Dunkelheit. »Ratet mal, was im Safe lag.« Er hielt inne, blickte sich verstohlen um, senkte die Stimme. »Bargeld. Eine Menge Bargeld. Haufenweise Hunderter. Ganze Bündel.«
Mitch erstarrte mitten im Kauen. Neben ihm beugte sich Jenn ein wenig vor, keine bewusste Bewegung, eher ein abruptes Einatmen.
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