Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ausloeser

Der Ausloeser

Titel: Der Ausloeser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sakey
Vom Netzwerk:
darüber nachzugrübeln, widmete er sich wieder seinem Frühstück.
    »Kennt ihr das Gefangenendilemma?«, fragte Ian.
    Alex ächzte. »Nicht schon wieder.«
    »Was?«
    »Das ist doch wieder eins von deinen Spielen.«
    »Was du nicht sagst«, erwiderte Ian trocken. »Und du hast völlig recht.«
    »Hast du denn gar nichts anderes im Kopf?«
    Ian ignorierte ihn. »Also: Zwei Kriminelle werden verhaftet. Die Cops wissen, dass sie schuldig sind, haben aber nicht genug Beweise. Deshalb sperren sie die beiden in getrennte Zellen und bieten ihnen jeweils einen Deal an: Wer seinen Kumpel verrät, darf gehen, während der andere für zehn Jahre hinter Gitter kommt. Halten beide dicht, haben die Cops kaum was in der Hand – dann können sie sie bloß für kleinere Vergehen drankriegen, und jeder der beiden bekommt gerade mal sechs Monate oder so aufgebrummt. Aber wenn sie sich gegenseitig verraten, schnappt die Falle zu, und die Cops können sie festnageln – dann bekommen beide fünf Jahre.«
    Das Gedankenexperiment hatte etwas, musste Mitch sich eingestehen. Ihm stand klar vor Augen, worum es ging, fast konnte er die elegante Gleichung dahinter erkennen. In Mathe war er nie schlecht gewesen. »Also halten beide den Mund.«
    »Sollte man meinen, was? Aber sie können sich ja nicht absprechen! Und wenn der eine dem anderen vertraut und gleichzeitig verraten wird, wird er bitter bestraft: Er muss zehn Jahre sitzen. Hätte er ebenfalls geredet, wären es nur fünf gewesen.«
    »Wie gut kennen sich die beiden?«, fragte Jenn.
    »Das tut nichts zur Sache.«
    »Doch, natürlich. Wenn sie wirklich gute Freunde sind, wissen sie, dass sie sich vertrauen können.«
    »Stimmt, aber findest du nicht, dass das ziemlich viel verlangt ist? Stell dir vor, du riskierst alles und vertraust auf deinen Kumpel – und er reitet dich rein? Er kommt auf freien Fuß, während du für   zehn Jahre   verknackt wirst? Da steht so viel auf dem Spiel, dass es weniger um den potenziellen Gewinn als um den potenziellen Verlust geht. Und deshalb spielt das gegenseitige Vertrauen keine große Rolle.«
    »Was dann?«
    »Die Anzahl der Durchläufe. Spielt man nur einmal, ist es am schlausten, den anderen zu verraten, bevor man selber verraten wird. Egal, wie eng man befreundet ist. Denn wenn der andere lange genug nachdenkt, wird er zum selben Ergebnis kommen.«
    Jenn schüttelte den Kopf. »Hat dich deine Mama nicht oft genug in den Arm genommen, oder was?«
    Ian zeigte ihr den Mittelfinger. »Aber wenn man immer wieder spielt, ist es günstiger, dem anderen zu vertrauen, denn jeweils sechs Monate Gefängnis sind deutlich besser, als wenn sich beide gegenseitig verraten. Mit der Zeit lohnt es sich, fair zu sein. Aber erst mit der Zeit.«
    »Mann, woher hast du dieses Zeug nur immer?«, fragte Alex.
    »Das ist Spieltheorie, Baby. Also, wie wär’s mit morgen Abend?«
    »Was soll morgen Abend sein?«
    »Morgen Abend inszenieren wir Johnny Loves Untergang.«
    »Warum eigentlich nicht«, meinte Alex, »wo ich mir sowieso einen neuen Job suchen muss. Und wisst ihr was? Ich glaube Johnny jedes Wort. Der ist so ein Arsch, dass er tatsächlich überall verbreiten wird, ich hätte ihn bestohlen.«
    »Er wird gar nicht mitbekommen, dass du das warst.«
    »Aus der Kasse gestohlen natürlich.« Alex hielt inne, stellte das Glas ab – und betrachtete Ian ungläubig. »Du meinst das ernst, oder?«
    Ian zuckte eher mit den Augenbrauen als mit den Schultern. »Warum nicht?«
    »Weil es … Diebstahl ist?«
    »Ach ja? Der Typ hat sein Geld mit Drogenhandel verdient, das hast du selber erzählt. Was denkst du, wie viele Menschen sind dadurch wohl draufgegangen?«
    »Und?«
    »Was und? Wir erleichtern einen Drogendealer um ein paar Hunderttausend. Was ist daran so verwerflich? Außerdem erwischen sie uns sowieso nicht. Wer sollte uns schon verdächtigen? Keiner von uns ist vorbestraft, keiner hat jemals auch nur ansatzweise mit so etwas zu tun gehabt, und du wirst auch noch ein astreines Alibi haben. Geringer Einsatz, riesiger Gewinn. Ein Verrat, der sich lohnt. Und wie.«
    »Das ist kein Spiel.«
    »Das   Leben   ist ein Spiel. Und im Moment spielen wir das Gefangenendilemma. Wenn du nur ein einziges Mal spielst, lohnt es sich, den anderen reinzureiten. Ansonsten wird er dich reinreiten – und das weißt du ganz genau.« Ian beugte sich vor. »Schau dich doch mal um. Wir sind vier nette, unschuldige Menschen. Wir haben feste Jobs, wir melden uns regelmäßig bei

Weitere Kostenlose Bücher