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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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bezeichnen, aber richtig ist
    das nicht. Ich habe Cill niemals gehasst.
    Wenn ich geglaubt hätte, es wäre gut für
    sie, hätte ich sie nach Strich und Faden
    verwöhnt und ihr jeden Wunsch erfüllt.
    Aber ich habe sie stattdessen zur Arbeit
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    angehalten, weil ich weiß, dass sie in-
    telligent genug ist, um es einmal weiter
    zu bringen als ihre Eltern. Wir hatten
    kaum Probleme mit ihr, bis sie in die
    Pubertät kam, aber jetzt belastet ihr
    Verhalten die Familie.
    Ich war enttäuscht und verärgert, als
    sie die Aufnahmeprüfung in die höhere
    Schule nicht geschafft hat. Sie ist ganz
    clever, aber ihre Grundschullehrer ha-
    ben sie im Stich gelassen. Es wird so
    viel Blödsinn über diese Aufnahmeprüfung
    geredet. Angeblich soll es ein rei-
    ner Intelligenztest sein, aber in
    Wirklichkeit müssen die Aufgaben vorher
    nur gründlich geübt werden, dann schaf-
    fen die Kinder die Prüfung auch. Aber
    Cill ist völlig blauäugig in die Prüfung
    gegangen und hat es um einen Punkt nicht
    geschafft. Niemand kann mir weismachen,
    dass das gerecht ist. Bei mir in der
    Arbeit sind Leute, deren Söhne mit ei-
    ner niedrigeren Punktzahl durchgekommen
    sind. Das System begünstigt eindeutig
    die Mittelklassekinder.
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    Ich bin streng, weil ich es gut mit ihr
    meine. Die Welt verändert sich, und
    Frauen sollten genauso gut ausgebil-
    det werden wie Männer. Ich möchte
    nicht, dass sie mal als Packerin bei
    Brackham & Wright landet oder den ganzen
    Tag für einen Hungerlohn anderen Leuten
    die Haare macht. Ich möchte, dass sie
    einmal eine ordentliche Arbeit in London
    findet und einen Mann kennen lernt, der
    so viel verdient, dass er sich ein ei-
    genes Haus leisten kann. Meine größ-
    te Angst war immer, dass irgendein Kerl
    ihre Naivität ausnützt und sie schwän-
    gert, bevor sie sechzehn ist.
    Das hat zu vielen Streitigkeiten zwi-
    schen uns geführt. Die körperliche
    Entwicklung meiner Tochter hat relativ
    früh eingesetzt, und Cill war überzeugt,
    sie könne auf sich selbst aufpassen. Ich
    habe ihr immer wieder gesagt, dass sie
    keine Ahnung hat, wie gefährdet jun-
    ge Mädchen sind, und als sie im letzten
    Trimester anfing zu schwänzen, war mir
    klar, dass ich streng durchgreifen muss.
    Meine Frau und ich haben alles versucht,
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    wir haben sie persönlich zur Schule ge-
    bracht und wieder abgeholt, wir haben
    eine Ausgangssperre nach achtzehn Uhr
    verhängt, aber das Einzige, was wirkt,
    ist körperliche Züchtigung.
    Ich wehre mich mit allem Nachdruck gegen
    die Unterstellung, mir mache das Spaß.
    Zwischen meiner Tochter und mir hat nie
    etwas anderes als eine ganz normale
    Vater-Kind-Beziehung bestanden, und ich
    habe mich mit allem, was ich getan habe,
    immer nur bemüht, ihr eine erfolgreiche
    Zukunft zu sichern. Mir ist jetzt klar,
    dass mein Ehrgeiz für sie vielleicht
    über ihren eigenen hinausgegangen ist,
    aber ich habe eben immer gehofft, dass
    sie niemals die gleichen Enttäuschungen
    wie ich würde erleben müssen. Wenn mich
    das zu übermäßiger Strenge gegen das
    Kind verleitet hat, das ich von Herzen
    liebe, dann bedauere ich das aus tiefs-
    ter Seele, aber was ich getan habe, habe
    ich nur mit den besten Absichten getan.
    Ich war entsetzt, als ich erfuhr, dass
    Louise Burton gegenüber der Polizei be-
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    hauptet hat, meine Tochter sei Anfang
    Mai von einer Gruppe Jugendlicher ver-
    gewaltigt worden und habe »selbst Schuld
    daran«. Wie ich gehört habe, ist Louise
    der Meinung, Cill habe meiner Frau und
    mir nicht sagen können, was gesche-
    hen war, weil ich immer so streng bin.
    Wir sind tief betroffen darüber, zu-
    mal wir schon lange unsere Zweifel an
    Louises Ehrlichkeit haben und nicht ver-
    stehen, warum man ihr diese Vergewalti-
    gungsgeschichte glaubt, obwohl sie die
    Täter weder beim Namen nennen noch die
    drei Verdächtigen identifizieren konn-
    te, die von der Polizei vorgeladen wur-
    den. Ebenso wenig verstehe ich, wie-
    so Louise ihren eigenen Eltern damals
    nichts gesagt hat. Die Burtons sehen
    das Verhalten ihrer Tochter ziemlich lo-
    cker, und ich kann nicht glauben, dass
    sie nicht von der Vergewaltigung wussten,
    wenn sie sich tatsächlich zugetragen hat.
    Kurz gesagt, es gibt keinerlei Beweise,
    die Louises Behauptung stützen, und ich
    bin äußerst verärgert darüber, dass man
    ihr glaubt, da sie unsere Tochter in ein
    so schlechtes Licht setzt.
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    Zu dem Streit, den ich am Freitag, den
    29. Mai, nachmittags mit Cill hatte,
    kann ich nur

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