Der Außenseiter
bezeichnen, aber richtig ist
das nicht. Ich habe Cill niemals gehasst.
Wenn ich geglaubt hätte, es wäre gut für
sie, hätte ich sie nach Strich und Faden
verwöhnt und ihr jeden Wunsch erfüllt.
Aber ich habe sie stattdessen zur Arbeit
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angehalten, weil ich weiß, dass sie in-
telligent genug ist, um es einmal weiter
zu bringen als ihre Eltern. Wir hatten
kaum Probleme mit ihr, bis sie in die
Pubertät kam, aber jetzt belastet ihr
Verhalten die Familie.
Ich war enttäuscht und verärgert, als
sie die Aufnahmeprüfung in die höhere
Schule nicht geschafft hat. Sie ist ganz
clever, aber ihre Grundschullehrer ha-
ben sie im Stich gelassen. Es wird so
viel Blödsinn über diese Aufnahmeprüfung
geredet. Angeblich soll es ein rei-
ner Intelligenztest sein, aber in
Wirklichkeit müssen die Aufgaben vorher
nur gründlich geübt werden, dann schaf-
fen die Kinder die Prüfung auch. Aber
Cill ist völlig blauäugig in die Prüfung
gegangen und hat es um einen Punkt nicht
geschafft. Niemand kann mir weismachen,
dass das gerecht ist. Bei mir in der
Arbeit sind Leute, deren Söhne mit ei-
ner niedrigeren Punktzahl durchgekommen
sind. Das System begünstigt eindeutig
die Mittelklassekinder.
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Ich bin streng, weil ich es gut mit ihr
meine. Die Welt verändert sich, und
Frauen sollten genauso gut ausgebil-
det werden wie Männer. Ich möchte
nicht, dass sie mal als Packerin bei
Brackham & Wright landet oder den ganzen
Tag für einen Hungerlohn anderen Leuten
die Haare macht. Ich möchte, dass sie
einmal eine ordentliche Arbeit in London
findet und einen Mann kennen lernt, der
so viel verdient, dass er sich ein ei-
genes Haus leisten kann. Meine größ-
te Angst war immer, dass irgendein Kerl
ihre Naivität ausnützt und sie schwän-
gert, bevor sie sechzehn ist.
Das hat zu vielen Streitigkeiten zwi-
schen uns geführt. Die körperliche
Entwicklung meiner Tochter hat relativ
früh eingesetzt, und Cill war überzeugt,
sie könne auf sich selbst aufpassen. Ich
habe ihr immer wieder gesagt, dass sie
keine Ahnung hat, wie gefährdet jun-
ge Mädchen sind, und als sie im letzten
Trimester anfing zu schwänzen, war mir
klar, dass ich streng durchgreifen muss.
Meine Frau und ich haben alles versucht,
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wir haben sie persönlich zur Schule ge-
bracht und wieder abgeholt, wir haben
eine Ausgangssperre nach achtzehn Uhr
verhängt, aber das Einzige, was wirkt,
ist körperliche Züchtigung.
Ich wehre mich mit allem Nachdruck gegen
die Unterstellung, mir mache das Spaß.
Zwischen meiner Tochter und mir hat nie
etwas anderes als eine ganz normale
Vater-Kind-Beziehung bestanden, und ich
habe mich mit allem, was ich getan habe,
immer nur bemüht, ihr eine erfolgreiche
Zukunft zu sichern. Mir ist jetzt klar,
dass mein Ehrgeiz für sie vielleicht
über ihren eigenen hinausgegangen ist,
aber ich habe eben immer gehofft, dass
sie niemals die gleichen Enttäuschungen
wie ich würde erleben müssen. Wenn mich
das zu übermäßiger Strenge gegen das
Kind verleitet hat, das ich von Herzen
liebe, dann bedauere ich das aus tiefs-
ter Seele, aber was ich getan habe, habe
ich nur mit den besten Absichten getan.
Ich war entsetzt, als ich erfuhr, dass
Louise Burton gegenüber der Polizei be-
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hauptet hat, meine Tochter sei Anfang
Mai von einer Gruppe Jugendlicher ver-
gewaltigt worden und habe »selbst Schuld
daran«. Wie ich gehört habe, ist Louise
der Meinung, Cill habe meiner Frau und
mir nicht sagen können, was gesche-
hen war, weil ich immer so streng bin.
Wir sind tief betroffen darüber, zu-
mal wir schon lange unsere Zweifel an
Louises Ehrlichkeit haben und nicht ver-
stehen, warum man ihr diese Vergewalti-
gungsgeschichte glaubt, obwohl sie die
Täter weder beim Namen nennen noch die
drei Verdächtigen identifizieren konn-
te, die von der Polizei vorgeladen wur-
den. Ebenso wenig verstehe ich, wie-
so Louise ihren eigenen Eltern damals
nichts gesagt hat. Die Burtons sehen
das Verhalten ihrer Tochter ziemlich lo-
cker, und ich kann nicht glauben, dass
sie nicht von der Vergewaltigung wussten,
wenn sie sich tatsächlich zugetragen hat.
Kurz gesagt, es gibt keinerlei Beweise,
die Louises Behauptung stützen, und ich
bin äußerst verärgert darüber, dass man
ihr glaubt, da sie unsere Tochter in ein
so schlechtes Licht setzt.
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Zu dem Streit, den ich am Freitag, den
29. Mai, nachmittags mit Cill hatte,
kann ich nur
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