Der Außenseiter
Couchtisch legte. »Mein Gott!«, sagte er erschüttert.
»Glauben Sie, Mr. Trevelyan hatte Recht? Glauben Sie, dass meine Eltern tatsächlich von der Vergewaltigung wussten?«
Sasha Spencer wich aus. »David hat nie ganz an die Vergewaltigung geglaubt«, sagte sie. »Er vermutet, Ihre Schwester wollte lediglich von ihrer Mitschuld an Cills Bestrafung ablenken. Jean allerdings ist überzeugt, dass die Vergewaltigung stattgefunden hat, und macht sich noch heute schwere Vorwürfe. Es ist eine sehr traurige Situation. Ob zu Recht oder Unrecht – sie geben sich beide die Schuld am Verschwinden ihrer Tochter, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.«
Billy drückte sein Gesicht in seine Hände. »Die Vergewaltigung hat stattgefunden«, murmelte er.
»Ich war dabei, ich hab’s gesehen. Einer nach dem anderen sind sie über sie hergefallen … haben sie getreten … ihre Beine waren voller Blut. Es macht mich ganz krank, wenn ich dran denke.«
Rachel sah den Abscheu in Sashas Gesicht. »Er war zehn Jahre alt, und sie hatten ihn mit Wodka abgefüllt«, sagte sie, ihren Mann in Schutz nehmend. »Er hat nicht einmal verstanden, was vor sich ging. Er dachte, es wäre eine Schlägerei. Wenn die Polizei ihn auch vernommen hätte, wäre es anders gekommen, aber keiner wusste, dass er an 541
dem Tag mit Cill und Louise zusammen gewesen war.«
»Cill hatte eine unheimliche Angst vor ihrem Vater. Sie sagte, sie würde uns umbringen, wenn wir nicht den Mund hielten«, bemerkte Billy unglücklich. »Darum habe ich nie was gesagt. Erst als ein Junge in der Schule mir erzählt hat, seine Mutter hätte es in der Zeitung gelesen, habe ich erfahren, dass Louise der Polizei alles erzählt hatte. Ich wusste ja nicht einmal, was das Wort Vergewaltigung bedeutet. Dieser Junge musste es mir erst erklären … und das war gut zwei Monate nach Cills Verschwinden. Bei uns zu Hause wurde nicht darüber gesprochen. Über gar nichts .«Er legte eine Hand auf das Protokoll von David Trevelyans Aussage. »Ich wusste nicht, dass Mr. Trevelyan sich so um seine Tochter gesorgt hat. – Ich wusste nicht, dass mein Vater und er sich geprügelt hatten. – Und ich hatte keine Ahnung, dass mein Vater Cill ein Flittchen nannte, noch ehe ein Mensch wusste, dass sie verschwunden war.«
Es folgte ein langes Schweigen.
Sasha klappte ihren Block wieder auf. »Warum ist das von Bedeutung?«, fragte sie.
»Er sagte doch, Cill habe ›es nicht anders verdient‹. Ich denke, das heißt, dass er von der Vergewaltigung wusste.«
Sasha sah ihn stirnrunzelnd an. »Ich verstehe immer noch nicht, warum das von Bedeutung ist.
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Es wirft vielleicht kein gutes Licht auf ihre Eltern, aber es bedeutet doch nicht, dass sie etwas damit zu tun hatten, dass Cill von zu Haus weggelaufen ist.«
Billy zog einen Ausdruck der E-Mail seines Vaters aus seiner Hemdtasche. »Lesen Sie das«, sagte er schroff, »und fragen Sie sich dann, wo er sonst noch gelogen hat. Zu einem Mann, von dem man
glaubt, dass er seine eigene Tochter missbraucht, sagt man doch nicht, das Mädchen hätte es nicht anders verdient … und man geht verdammt noch mal zur Polizei, wenn man den Verdacht hat, dass auch die eigene Tochter von diesem Mann beläs-tigt worden ist.«
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25 Mullin Street, Highdown, Bournemouth
Donnerstag, 15. Mai 2003, mittags
Jonathan schlug vor, sie sollten sich in den Garten setzen, aber George wollte davon nichts wissen.
Sie meinte, sie habe nur einen Stuhl und keinen Tisch für draußen und wirkte irgendwie niedergeschlagener als sonst. Er fand es traurig, dass sie niemanden hatte, mit dem sie sich die Freuden des Gartens hätte teilen können. Er sagte, es sei ein viel zu schöner Tag, um im Haus zu hocken, und trug kurzerhand Tisch und Stuhl aus der Küche nach draußen. Pluderige Wolkenberge trieben am türkisblauen Himmel und in der Luft hing der Duft der Glyzinie, die an der Mauer des Nachbarhauses emporwuchs. Er holte ein großes Kissen aus dem Wohnzimmer und schob es George in den Rücken. Ihre Augen verrieten Müdigkeit und Schmerz, und das machte ihm Sorge. »Was ist denn los?«
»Nichts«, antwortete sie. »Ich habe nur ein wenig Schmerzen.«
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Er setzte sich neben sie auf den Stuhl. »Sie sehen müde aus.«
»Das gehört zu meiner Arbeit. Ich hatte mal wieder Nachtschicht.«
»Spielen Sie nur nicht die Märtyrerin«, warnte er sie. »Ich investiere eine Menge Zeit und Kraft in dieses Buch.«
Sie lächelte schwach. »Sie sind ein
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