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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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sagen, dass er nicht anders
    verlief als alle anderen davor. Meine
    Tochter und ich sind temperamentvolle
    Menschen, und wir waren beide sehr laut.
    Ich erinnere mich, dass sie mich hef-
    tig beschimpft hat. Sie nannte mich ei-
    nen »viktorianischen Vater«, »Hitler«,
    »Methusalem« und warf mir vor, ich bil-
    dete mir ein, der »liebe Gott« zu sein.
    Dann ging sie auf ihre Mutter los, die
    sie als »widerliche alte Petze« und
    »Schnüfflerin« bezeichnete. Sie behaup-
    tete, wir wollten ihr vorschreiben, wie
    sie zu leben hätte, und die Meinung der
    anderen Eltern an der Schule sei uns
    wichtiger als sie.
    Ich verlangte eine Erklärung für die
    Prügelei mit Louise Burton. Als sie die
    verweigerte, fragte ich sie, ob Louises
    Version – dass sie, Cill, sie wieder
    zum Schwänzen habe verleiten wollen –
    zutreffe. Daraufhin begann Cill, mit
    Gegenständen um sich zu werfen, und ich
    sah keine andere Möglichkeit, sie zur
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    Räson zu bringen, als ihr drei Schläge
    mit dem Gürtel zu geben. Danach schick-
    te ich sie in ihr Zimmer und wies ihre
    Mutter an, dafür zu sorgen, dass sie
    dort blieb. Es war alles sehr unerfreu-
    lich für uns alle, aber ich war über-
    zeugt, am Ende würde es so ausgehen wie
    immer: Cill würde sich am Morgen ent-
    schuldigen und ihr Verhalten würde sich
    für kurze Zeit bessern. Das Schwierige
    für uns war, ein Mittel zu finden, um
    ihr Verhalten längerfristig zu beein-
    flussen, vor allem im Hinblick auf das
    Schuleschwänzen.
    Um acht (am Freitagabend) bin ich zur
    Arbeit gegangen. Cill war in ihrem
    Zimmer. Als Vorarbeiter in der techni-
    schen Abteilung bei Brackham & Wright
    habe ich eine Arbeitstruppe von ungefähr
    fünfzig Leuten unter mir. Louises Vater
    Robert hat in der Verpackungsabteilung
    eine ähnliche Position. Eine Arbeits-
    kollegin von mir, Deborah Handley, be-
    merkte gleich, als ich kam, dass ich
    erregt war, und fragte, ob etwas nicht
    in Ordnung sei. Deborah hat selbst zwei
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    Töchter, die etwas älter sind als Cill,
    und ich spreche regelmäßig mit ihr über
    Cill. Bei der Arbeit erzählte ich ihr,
    was an dem Abend bei uns los gewesen
    war, und sagte, Jean und ich wüssten
    bald nicht mehr, was wir tun sollten.
    Sie meinte, ich solle mit Robert Burton
    reden und mir von ihm sagen lassen, wo-
    rum es bei der Prügelei wirklich gegan-
    gen war. Soweit ich mich erinnere, sagte
    sie: »Wenn Cill so außer sich war, dass
    sie nicht einmal in der Lage war, ei-
    nen Grund zu erfinden, steckt da meiner
    Meinung nach mehr dahinter, als es zu-
    nächst den Anschein hat.«
    Ich sprach Robert gegen ein Uhr morgens
    in der Kantine an. Er wollte anfangs
    nicht mit mir reden und sagte, dass
    die Schule Cill bestraft habe und nicht
    Louise, sei der klare Beweis dafür, dass
    Cill an allem schuld sei. Darauf sag-
    te ich, Louise habe es sich mit ihrer
    Version der Dinge ganz schön bequem ge-
    macht. Schließlich wusste sie ja, was
    für ein heikles Thema Cills Schwänzerei
    war. Er fragte mich, ob ich behaup-
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    ten wolle, seine Tochter hätte gelogen,
    und als ich antwortete, das sei immer-
    hin eine Möglichkeit, wurde er ausfal-
    lend, und es kam zu einer Schlägerei.
    Ich habe das nicht heraufbeschworen, um
    Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen und
    mir so ein Alibi zu schaffen, und ich
    habe es auch nicht heraufbeschworen, um
    damit Blutergüsse aus einer früheren
    tätlichen Auseinandersetzung mit mei-
    ner Tochter erklären zu können. Zu dem
    Streit kam es infolge meiner tiefen
    Besorgnis und Angst um meine Tochter,
    die in Zorn umschlugen, als Robert
    Burton von ihr sagte, sie sei »ein bil-
    liges kleines Flittchen« und habe »es
    nicht anders verdient«.
    Ich habe keine Ahnung, warum er eine
    solche Bemerkung machte, es sei denn,
    Louise hatte ihm bereits von der an-
    geblichen Vergewaltigung erzählt. Wenn
    das zutrifft, wäre es seine Pflicht
    gewesen, meine Frau und mich davon zu
    unterrichten.
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    Ich habe über mein Tun und Lassen in
    der Nacht vom Freitag, dem 29. und am
    Samstag, dem 30. Mai 1970, genaues-
    tens Rechenschaft abgelegt. Ebenso über
    die fünfzigminütige Fahrt, die ich am
    Samstagmorgen zum Bahnhof Branksome und
    zum Hauptbahnhof unternommen habe, weil
    ich hoffte, meine Tochter zu finden. Ich
    bestätige, dass ich nichts über Cills
    Verschwinden weiß und mir ihr gegenwär-
    tiger Aufenthaltsort unbekannt ist.
    David Trevelyan
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    Billys Hände zitterten, als er zu Ende gelesen hatte und die Blätter auf den

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