Der Außenseiter
wahrscheinlich weil die Trevelyans solche Snobs waren.«
Sasha ließ einen Moment des Schweigens vergehen. »Warum haben Sie der Polizei nichts davon gesagt, dass Billy bei der Vergewaltigung dabei war? Er wusste die Namen der Burschen.«
616
»Ich wollte ihn in Schutz nehmen. Unsere Eltern wussten nicht, dass er die Schule geschwänzt hatte.«
»Und wieso hat die Schule sein Fehlen nicht bemerkt?«
»Weil ich angerufen und ihn entschuldigt habe.
Ich habe mich als meine Mutter ausgegeben und gesagt, er wäre krank.«
»Warum?«
»Um ihm aus der Patsche zu helfen natürlich.« Sie zog an ihrer Zigarette. »Es war das einzige Mal, dass er geschwänzt hat – er hatte solchen Schiss, dass er’s nie wieder getan hat. Er sollte mir dankbar sein, anstatt aus der Geschichte ein Drama zu machen.«
Wieder lächelte Sasha. »Ich glaube nicht, dass er Ihnen zustimmen würde, Mrs. Fletcher.« Sie schwieg kurz, um ihre Brille höher zu schieben.
»Ich meinte eigentlich, warum wollten Sie ihn an dem Tag dabeihaben? Er hat mir erzählt, das Treffen mit den Jungen sei geplant gewesen, und Sie und Cill hätten ständig sexuell anzügliche Bemerkungen gemacht, um sie aufzureizen. Ich verstehe nicht, warum man da einen Zehnjährigen mitschleppt.«
»Das ist doch alles Blödsinn«, widersprach Louise aufgebracht. »Gar nichts war geplant – es wäre überhaupt nicht möglich gewesen. Wir kannten die Jungs ja gar nicht. Wir waren unten bei den 617
Arkaden und haben sie zufällig getroffen, und Cill war sofort scharf auf Roy. Wir hatten Billy nur am Hals, weil er nicht in die Schule gehen konnte, ohne dass sie ihn ins Verhör genommen hätten, und heimgehen konnte er auch nicht, weil da unsere Eltern waren.«
Sasha blätterte einige Seiten zurück. »Wie ich es verstanden habe, hat Cill ihn überredet mitzuge-hen, und Sie waren wütend darüber.«
Louise zögerte merklich. »Ich weiß das nicht mehr, aber wahrscheinlich stimmt es«, sagte sie.
»Cill fand’s immer gut, wenn sie andere auch zum Schwänzen verleiten konnte, und sie nicht die Einzige war.«
»Ihr Bruder sieht das anders. Er sagte, Cill habe ihn dabeihaben wollen, weil sie nicht so versessen wie Sie darauf war, mit den Jungen allein zu sein.
Seiner Meinung nach haben Sie die Vergewaltigung mit herbeigeführt – weil Sie wütend waren, dass Roy mehr an Cill interessiert war als an Ihnen.«
»So ein Quatsch!«, sagte Louise verächtlich.
»Wenn ich jemals so scharf auf Roy gewesen wäre, wäre ich heute noch mit ihm verheiratet.«
Sasha fand die gesuchte Seite, auf der sie ein Nachfolgegespräch mit William Burton aufgezeichnet hatte. »Ihr Bruder glaubt nicht, dass es Ihnen darum ging, ihn in Schutz zu nehmen, Mrs.
Fletcher, und sucht deshalb nach Gründen, warum Sie der Polizei nicht gesagt haben, dass er dabei 618
war. Offensichtlich haben Sie ihn früher ohne Skrupel jederzeit irgendwo reingeritten, wenn Sie dadurch ihre eigene Haut retten konnten.« Sie fuhr mit dem Finger die Zeilen auf dem Block abwärts.
»Hier sind einige der Erklärungen, die ihm dazu eingefallen sind. Die Jungen waren Freunde von Ihnen, und da Sie nicht wollten, dass sie festgenommen werden, konnten Sie nicht zulassen, dass Ihr Bruder ihre Namen nannte.« Sie hob kurz den Blick. »Nein? Dann wollten Sie vielleicht Cill nach Herzenslust schlecht machen, weil Sie wütend waren, dass Ihr Vater sie so gern hatte? Und Ihr Bruder durfte natürlich auf keinen Fall für sie eintreten?«
Louise drückte mit einer heftigen Bewegung ihre Zigarette in den Aschenbecher. »Meinem Vater war das doch scheißegal. Aufgeregt hat sich nur Mr. Trevelyan. Wie konnte eine Louise Burton es wagen zu behaupten, seine Tochter wäre ein Flittchen! Im Grunde genommen war es zum Lachen. Alle wussten, dass es stimmte, nur ihre bi-gotten Eltern nicht.«
Sasha sagte nichts darauf. »Wie wär’s damit: Sie wussten, wo Cill sich aufhielt, wollten aber nicht danach gefragt werden und lenkten deshalb die Aufmerksamkeit der Polizei auf etwas, was drei Wochen vorher geschehen war. Wenn Billy in die Geschichte hineingezogen worden wäre, hätte er möglicherweise Grace Jefferies erwähnt, und das 619
wollten Sie nicht.« Absichtlich gebrauchte sie die Worte, die Louise Andrew Spicer gegenüber gebraucht hatte. »Was war denn schon dabei? Cill war am Leben … bei Grace war sie sicher … und Sie glaubten, sie würde brav wieder heimgehen, wenn ihr langweilig würde.« Sie hob wieder den Kopf und blickte
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