Der Außenseiter
an-fingen, nicht gewöhnt war.
Nach einer halben Stunde schob sie ihren Teller zur Seite und stützte die runden Ellbogen auf den Tisch. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich jetzt ein paar Fragen stelle?«
»Worüber?«
»Über Sie.« Augenblicklich verschloss sich sein Gesicht, und sie schüttelte den Kopf. »Keine persönlichen Fragen, Dr. Hughes, ich würde nur gern wissen, wie Sie auf Howards Geschichte aufmerksam geworden sind. Zum Beispiel: Wo sind Sie darauf gestoßen, und wo haben Sie geforscht? Die Fälle Downing und Kiszko waren ja auch schon ziemlich bekannt, bevor die Verurteilungen aufgehoben wurden, in Howards Fall hingegen ist das Interesse mit seinem Tod erloschen. Er wird weder in Büchern noch im Internet erwähnt, die Sache war längst vergessen, als ich in die Mullin Street gezogen bin. Daher meine Frage: Wie sind Sie auf ihn aufmerksam geworden?«
»Durch ein Buch «, antwortete Jonathan mit unnötigem Nachdruck. »Es ist allerdings nur in Universitätsbibliotheken verfügbar – Clinical Studies von Dr. Andrew Lawson. Es ist 1975 herausgekommen und seit Jahren vergriffen. Es handelt sich um eine Sammlung psychiatrischer Begutachtungen, und eine davon befasst sich mit Stamp. Ich zitiere sie in Kranke Seelen – der Verweis auf den Autor 147
befindet sich in einer Fußnote.« Er lächelte wieder das mechanische Höflichkeitslächeln. »Ich setze stets voraus, dass meine Leser mein Interesse an bibliographischen Hinweisen teilen, aber offensichtlich liege ich da falsch.«
Georges Gesicht glühte in noch leuchtenderem Rot.
»Ich wusste nicht, dass Ihr Interesse durch diesen Aufsatz geweckt wurde. Darf ich fragen, wieso?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich dachte, das hätte ich in meinem Buch deutlich zum Ausdruck gebracht. Es gab Parallelen zwischen Stamps Fall und den anderen Fällen, die ich beschrieben habe.
Meiner Ansicht nach wäre das Urteil gegen ihn ebenfalls aufgehoben worden, wenn er lange genug gelebt hätte.«
Sie nickte. »Die meisten Ihrer Informationen haben Sie aus Presseberichten. Haben Sie sonst keine Recherchen angestellt?«
Er spürte sofort die Kritik. »Zeitungsberichte sind als Quellen durchaus geläufig, Miss Gardener
– aber ich habe mich natürlich nicht auf sie allein verlassen. Ich war in brieflichem Kontakt mit Adam Fanshaw, und er brachte mich mit dem Anwalt in Verbindung, der Stamp vertreten hat, bevor es zum Schwurgerichtsprozess kam. Beide Anwälte sind inzwischen im Ruhestand, aber sie konnten einige noch offene Fragen beantworten, vor allem zu Grace’ Geschichte. Der erste Anwalt schickte mir die Kopie eines Schreibens, aus dem beim Prozess 148
zitiert wurde, und das zusätzlich einige interessante Einzelheiten enthielt, auf die ich mich in meinem Buch bezogen habe. Außerdem habe ich mit einem Fallanalytiker gesprochen.«
Sie sah ihn an und fragte unvermittelt: »Haben Sie schon einmal über die Vorteile nachgedacht, die Ihnen Ihre dunkle Hautfarbe bringt?«
»Wie bitte?« Er runzelte die Stirn.
»Die meisten Leute würden sich niemals nachsagen lassen wollen, sie seien rassistisch. Und davon profitieren Sie doch sicher ab und zu?«
Er verstand nicht, wohin sie mit dieser Abschwei-fung wollte. »Ich kann Ihnen nicht folgen.«
Sie begegnete ruhig seinem Blick. »Vermutlich sind doch die gebildeten Weißen, wenn sie Ihnen zum ersten Mal begegnen, besonders bemüht, ihr Interesse an dem kundzutun, was Sie sagen – auch wenn es sie langweilt. Ist das nicht ein Vorteil, den man als dunkelhäutiger Mensch genießt? Einer übergewichtigen Weißen gegenüber, die die besten Jahre schon hinter sich hat, wären sie nicht so beflissen.« Sie lächelte ein wenig. »Aber sein Gewicht kann man sich natürlich aussuchen, seine Hautfarbe nicht.«
»Ich kann das nicht beurteilen, Miss Gardener.
Sie sind die Erste, die mich beschuldigt, ein Langweiler zu sein. Ich weiß nicht, was das mit Howard Stamp zu tun hat.«
»Ich frage mich, wie weit er selbst dazu beigetra-149
gen hat, dass er gepiesackt wurde«, meinte sie nachdenklich. »Wie weit trägt überhaupt jemand, der das Opfer von Schikane wird, selbst dazu bei?«
»Gar nicht. Howard wurde wegen seiner Hasenscharte zur Zielscheibe von Spott und Gewalt. Er konnte so wenig dafür wie Schwarze und Asiaten für ihre Hautfarbe können. Schikane ist eine Form des Terrors – und Terroristen suchen sich immer die als Opfer aus, die am leichtesten angreifbar sind.«
Sie kam auf ihre ursprüngliche Frage
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