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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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Logik oder der Realität nichts zu tun hat. Ich habe eine alte Frau, die überzeugt ist, dass ihr Ehemann ermordet wurde. Sie erzählt jedem, er wäre von bösen Nachbarn totge-schlagen worden.«
    Jonathan sah sie zweifelnd an. »Regt sich die alte Dame dabei nicht auf?«
    »Nur, wenn man ihr erklären will, dass es nicht wahr ist. Es ist ja ihr großer Auftritt, mit dem sie alle zum Schweigen bringt, während eine naive junge Schwester sie zu füttern versucht. Sie wird unwirsch, wenn man ihr sagt, dass ihr Gedächtnis sie trügt. Es ist, als sagte man Michael Jackson, dass er schwarz ist.« Sie drückte die Augen zu.
    »Ach, du lieber Gott! Mitten ins Fettnäpfchen. Ich wollte das Sch-Wort eigentlich nicht in den Mund nehmen. Tut mir Leid.«
    »Hauptsache, Sie nehmen das W-Wort nicht in den Mund«, versetzte Jonathan, seine Gereiztheit verbergend.
    »Welches Wort ist das?«
    »Waliser.«
    Sie lachte quiekend. »Ach, Gott, ja. Das war ziemlich komisch, nicht? Was, um Himmels willen, gibt’s denn an den Walisern auszusetzen?«
    »König Offa baute im achten Jahrhundert
    eine Mauer, um die Leute in Wales festzuhalten«, 136

    sagte er ironisch. »Ich vermute, es hat damit zu tun.«
    Sie quiekte wieder. »Woher wussten Sie, dass Roy so sauer reagieren würde?«
    »Weil er unbedingt als Engländer gelten möchte.

Hätte ich ihn einen Iren oder Schotten genannt, so wäre er genauso sauer gewesen. Von Lancaster oder Yorkshire hält er wahrscheinlich ebenso wenig, für ihn zählt nur Westengland.« Er zog eine Augenbraue hoch. »Am liebsten hätte er vermutlich einen Pass, in dem Dorset steht. Das ist der einzige Stamm, dem er angehören möchte.«
    Sie sah ihn einen Moment forschend an. »Und Sie, Dr. Hughes? Welchem Stamm möchten Sie angehören?«
    Diese Frage konnte er nicht beantworten. Es war einfacher, die Gruppen aufzuzählen, mit denen er nichts zu tun haben wollte – Schwarze, Weiße, Gelbe, Braune, Mulatten –, als die eine zu nennen, der er gern zugehören wollte. Sein Vater wollte, dass er seine Wurzeln väterlicherseits, seine Mutter, dass er die mütterlicherseits anerkannte. Und er selbst konnte nur versuchen, das Beste daraus zu machen, dass er Brite war. Und das war nicht einfach. Einfach wäre es für seine streitenden Eltern gewesen, in ihren Heimatländern zu bleiben, anstatt nach England auszuwandern, ein Einzelkind in die Welt zu setzen und dann achtzehn Jahre zu warten, bevor sie sich ihren gegenseitigen Hass 137

    erklärten. Wäre Jonathan im Heimatland eines seiner Eltern geboren, so hätte er vielleicht ein Gefühl der Zugehörigkeit entwickeln können. Sie aber hatten ihn ausgesetzt und ihm zum Beweis dafür, wer und was er war, nur einen fadenscheinigen Pass hinterlassen.
    Er griff nach seiner Aktentasche. »Wollen wir über Howard Stamp sprechen? Ich habe einige der Briefe mitgebracht, die ich bekommen habe. Ich dachte, sie würden Sie vielleicht interessieren.«
    »Wenn Sie möchten«, stimmte George zu.
    »Er ist doch der Grund unseres Zusammentreffens«, erinnerte Jonathan sie.
    »Oh, das bezweifle ich«, entgegnete sie. »Ich kann mich nicht erinnern, jemals etwas getan zu haben, für das ich nur einen Grund hatte. Sie?«
    Er drückte die Schnappschlösser der Aktentasche auf. Er hatte nicht die Absicht, sich auf philosophische Erörterungen mit ihr einzulassen. »Ein Brief ist von einer Frau, die mit ihm zur Schule gegangen ist – Jan –, aber sie hat weder Nachnamen noch Adresse angegeben. Vielleicht weiß Roy Trent, wer sie ist. Ein Mann, der mir schrieb, erwähnte eine Lehrerin. Es wäre gut, wenn wir sie finden könnten, vorausgesetzt, sie lebt noch.« Er nahm die Briefe heraus und reichte sie ihr.
    George begann nicht gleich zu lesen. »Haben Sie sich mal überlegt, dass Howards einziger Lebens-138

    sinn darin bestand, als Sündenbock zu dienen?
    Das ist ziemlich traurig, finden Sie nicht?«
    Jonathan sah die restlichen Briefe durch. Gleich würde sie ihm eröffnen, dass Gottes Wege uner-forschlich waren. »Ich interessiere mich mehr für die Mängel des Polizei- und Gerichtswesens«, sagte er von oben herab, »besonders im Umgang mit Menschen, die geistig oder seelisch krank sind, oder mit Beschuldigten aus anderen Kulturen, die der Sprache nicht mächtig sind.«
    »Ich verstehe.« Mehr sagte sie nicht, bevor sie den Kopf über das erste Blatt Papier beugte.
    139

    5
    Beim Wein rötete sich Georges Gesicht noch mehr, und Roy Trent machte eine entsprechende Bemerkung, als er

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