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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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mit dem Mittagessen kam.
    »Sie sollten lieber vorsichtig sein«, warnte er sie.
    »Sonst erwischt es Sie noch wegen Trunkenheit am Steuer.«
    Er war mit einer tollpatschigen Fürsorglichkeit um sie bemüht, und Jonathan fragte sich, welcher Art genau ihre Beziehung war. Sie nahm Trents Bemerkungen jedenfalls freundlicher auf, als er das getan hätte, aber für ihn hieß Freundschaft natürlich auch gegenseitige Achtung. Alles andere war keine Freundschaft. »Du wirst als einsamer alter Mann sterben«, hatte Andrew ihn einmal gewarnt.
    »Loyalität ist mehr wert als Achtung.«
    »Das ist doch das Gleiche.«
    »Sicher nicht. Deine schmeichlerischen Freunde würden es sich nicht einfallen lassen, dich auf deine Fehler aufmerksam zu machen.«
    »Wie kommst du darauf, dass sie Schmeichler sind?«
    »Weil du sie sehr sorgfältig auswählst. Du 140

    brauchst Bewunderung, Jon. Das ist eine große Charakterschwäche von dir.«
    »Und was bist du dann?«
    »Ein treuer Freund aus Oxforder Zeiten – dein einziger Freund aus Oxforder Zeiten. Darüber solltest du mal nachdenken. Es liegt vielleicht daran, dass ich ein verträglicher Mensch bin, aber ich habe den Verdacht, es hat mehr damit zu tun, dass ich zwanzig Zentimeter kleiner bin als du, das Fami-lienunternehmen übernommen und meine Frau be-
    trogen habe.«
    »Was soll das heißen?«
    »Dass du auf mich herabschauen kannst, sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn, und dich daher nicht in deinem Selbstwertgefühl be-droht fühlen musst. Mein geschäftlicher Erfolg, so weit vorhanden, ist offensichtlich geerbt, und die Tatsache, dass meine Ehe gescheitert ist, zeigt, dass ich Frauen so wenig an mich binden kann wie du. Das ist ein interessantes Paradox in deinem Charakter. Du verlangst Achtung von anderen, aber du kannst sie keinem anderen zollen.
    Sobald du das Gefühl hast, in den Schatten gestellt zu werden, gehst du. Ich nehme an, dahinter steckt die Furcht, als Versager wahrgenommen zu werden, und nicht Neid auf das Glück eines anderen, aber es ist eine verdammt merkwürdige Art, sich durchs Leben zu schlagen.«
    Jonathan sah, wie George einen der Briefe dazu 141

    benutzte, sich das Gesicht zu fächeln, und unterdrückte die Verachtung, die diese Geste plötzlich in ihm hervorrief. Er schaute weg, um seine Gefühle zu verbergen, und fragte sich ernstlich, ob ihm etwas fehlte. Er fühlte sich abgeschnitten von dem Raum, der ihn umgab, und den Menschen in ihm, sogar von sich selber – so viel Distanz war kein normales Jetlag-Symptom. Vielleicht, überlegte er, war der Wein daran schuld. Seltsame Zuckungen, wie Stromstöße, jagten jedes Mal, wenn er das Glas an die Lippen hob, durch seinen Arm. Allerdings schien nur er sie wahrzunehmen.
    Du kannst so nicht weitermachen … du solltest einen Arzt aufsuchen …
    Es war zu warm in diesem Zimmer. Er zog ein Taschentuch heraus und tupfte sich den Schweiß von der Oberlippe. »Wie ich höre, kannten Sie Howard Stamp«, sagte er zu Roy Trent, während dieser den Tisch deckte.
    »Kommt drauf an, was man unter ›kennen‹ versteht, Meister. Er kam hin und wieder mal zu meinem Vater in den Laden und hat für seine Großmutter was gekauft. Aber da er nie viel geredet hat, waren wir nicht gerade dicke Freunde.«
    »Wo war der Laden?«
    »Sie sind auf dem Weg hierher dran vorbeigekommen. Der Zeitungsladen in der Highdown Road.«
    Jonathan erinnerte sich. »War er älter als Sie? Er wäre jetzt Mitte fünfzig.«
    142

    »Richtig«, sagte Trent wenig hilfreich und nahm Salz und Pfeffer aus einem Schrank. »Aber angesehen hat man’s ihm damals nicht. Er hat sich zwar einen Schnauzer stehen lassen und so einen zerrupften kleinen Bart, aber er hat immer viel jünger ausgesehen, als er war. Er war ’n echter kleiner Versager – nicht mal seine Stimme hat sich entwickelt. Mein Vater hat ihn immer ›Hühnerbrust‹
    genannt und gesagt, er soll sich einen Expander besorgen – hat er aber nie getan.« Er hielt rückblickend inne. »Er hätt’s tun sollen. Mit ein paar Muckis hätte er mehr Selbstbewusstsein gehabt.«
    »Sie haben vorhin vom ›armen alten Howard‹
    gesprochen. Ich hatte den Eindruck, er täte Ihnen Leid.«
    »Im Nachhinein, ja – es war gemein, wie er von allen fertig gemacht worden ist –, aber damals …«
    Er brach mit einem Kopfschütteln ab. »Damals konnte man sich Mitleid mit ihm nicht leisten.
    Straßenbanden gab’s auch damals schon, die haben nicht die Kids von heute erfunden. Nur ein

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