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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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Freund heute Abend noch mehr Ärger macht, kehrt er nicht nach London zurück. Wir haben uns verstanden?«
    Andrew nickte. »Ist die Sache damit erledigt?«
    Lovatts Miene war unergründlich. »Ich habe keine Ahnung, Mr. Spicer. Ich mache den Bericht, aber ich kann nicht sagen, ob noch etwas nachfolgt.«
    Er stand auf. »Wenn Ihre Einschätzung richtig ist, sollten Sie Ihrem Freund zureden, sich ärztliche Hilfe zu suchen. Ich sage noch einmal, ungewöhnliches Verhalten wird heutzutage sehr ernst genommen – ganz gleich, was für Gründe es hat.«
    Andrew schlug auf der Beifahrerseite, wo Jonathan Platz genommen hatte, die Autotür zu und sah auf seine Uhr. Es war nach zehn, und er hatte einen Bärenhunger. Er spielte mit dem Gedanken, vor der Fahrt nach Highdown irgendwo etwas zu essen, aber er fürchtete, dann würde er es nicht mehr vor der Polizeistunde ins Crown and Feathers schaffen. Es ärgerte ihn, und gereizt schlug er die Tür auf seiner Seite mit größerer Wucht als notwendig zu, nachdem er hinter das Lenkrad gerutscht war.
    »Tut mir Leid«, sagte Jonathan leise. »Ich hätte die Briefe in den Müll geworfen, wenn ich gewusst hätte, dass sie dich hierher lotsen würden.«
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    Andrew ließ den Motor an und fuhr rückwärts aus dem Polizeiparkplatz heraus. »Jetzt mach dir keine Vorwürfe«, erwiderte er mit lobenswerter Selbstbeherrschung. »Ist doch gut, dass sie jemanden geholt haben, der dich kennt.«
    Jonathan klemmte die Hände zwischen die Knie.
    »Besser wär’s gewesen, sie hätten überhaupt niemanden herholen müssen. Ich hätte einfach den erstbesten Zug nehmen sollen.«
    Andrew war kein nachtragender Mensch. »Der Zusammenbruch war doch zu erwarten, Jon. Du hättest ihn nur an einen anderen Ort verlegen sollen.« Ungewohnt liebevoll versetzte er Jonathan einen leichten Puff an die Schulter. »Sei froh, dass es nicht in der Oper passiert ist. Womöglich wärst du genau bei der Szene zusammengeklappt, in der der arme alte Falstaff an den Pranger gestellt wird
    – das hätte ordentlich Aufsehen erregt.«
    »Nicht mehr Aufsehen als am Hauptbahnhof in Bournemouth.«
    »Nein, sicher nicht, wenn man Jamaikaner ist.
    Die Brüder scheinen Dorset noch nicht entdeckt zu haben.«
    Jonathan wandte sich ab und schaute zum Fenster hinaus.
    »Du bist schwarz, Jon, und es zerreißt dir das Herz. Ganz gleich, wie schwer es dir fällt, es einzugestehen, du musst dich irgendwann einmal damit auseinander setzen.«
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    »Und wie soll ich das deiner Meinung nach machen? Soll ich sagen, ich bin schwarz, und ich bin stolz?«
    »Warum nicht? Ich sage mir das jeden Tag. Es ist mein Mantra. Ich bin ein kleiner, dicker, hässlicher Weißer, also sag ich mir, ›Ich bin schwarz, und ich bin stolz‹ und geh los und trag den Kopf hoch. Das heißt nicht, dass irgendeiner was andres sieht als einen kleinen, dicken, hässlichen Weißen, aber mich hebt’s ungemein. Ich würde jeden Tag mit dir tauschen.«
    »O nein, würdest du nicht. Schwarzsein ist die Hölle.«
    »Würdest du mit mir tauschen?«
    »Ja.«
    Andrew lachte. »Von wegen! Es ist nicht lustig, gerade mal eins zweiundsechzig zu sein. Ich komm ja nicht mal zu den Pedalen in dieser verdammten Kiste runter, ohne den Sitz bis ans Lenkrad vorzuziehen. Als Zwerg braucht man eine starke Persönlichkeit.«
    »Immerhin besitzt du ein Auto.«
    Andrew ließ sich nicht reizen und schwieg lieber. Er wollte, dass Jonathan ihm die ganze Sache näher erklärte, aber er fürchtete, weiteres Selbstmitleid herauszufordern. Ob Jon nun wirklich depressiv war oder nur deprimiert infolge eines Zusammenspiels unglücklicher Umstände, er war auf jeden Fall nicht in der Lage, seine Situation 212

    objektiv zu betrachten. Und das war schade, denn jetzt wäre für ihn der beste Zeitpunkt gewesen, es zu lernen. Objektivität war eine Begabung, von der Andrew reichlich besaß, und nicht zum ersten Mal fragte er sich, was Jonathan sagen würde, wenn er die Wahrheit über seinen Agenten wüsste.
    Jonathan beobachtete schweigend, wie Andrew den Angaben zweier Wegweiser nach Highdown folgte, dann sagte er: »Wohin fahren wir?«
    »Du hast deine Brieftasche und deinen Pass im Crown and Feathers liegen gelassen. Wir holen die Sachen ab, bevor wir nach Hause fahren.«
    »Wer sagt das?«
    »Der Sergeant hat mit dem Wirt telefoniert. Der hat sie gefunden, nachdem du gegangen warst.«
    Jonathan lehnte sich zurück und schloss die Augen. »Das ist ausgeschlossen«, murmelte er. »Ich habe alles

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