Der Autor und sein Werk
der seitdem von einem Arbeiter erpreßt wird. Da ist der berühmte Chirurg Dr. Lingen, der nach einem Autounfall das Gefühl in den Fingerspitzen verlor und es nur wieder gewinnt, wenn er trinkt. Und da ist der katholische Priester, der einfach nicht vergessen kann, daß er im Krieg bei Stalingrad und auf anderen Schlachtfeldern den Sterbenden in einer ausweglosen Lage Gottes Wort verkündigen mußte. Jetzt braucht er vor jeder Predigt Alkohol. Immer mehr Alkohol. Kaul und Lingen können gerettet werden. Für den Seelsorger, der doch so vielen geholfen hat – gerade auch diesen beiden Männern – kommt jede menschliche Hilfe zu spät. Die Vergebung nicht. Konsaliks Roman wird vielen nicht so ganz angenehm sein. Wer liest schon gern von den Schattenseiten des Lebens. Aber gerade deshalb sollte er uns zu denken geben. Konsalik beweist uns nämlich, wie gefährlich der Rausch ist, der die Menschen – immer nur für kurze Augenblicke – glücklich machen kann, um sie schließlich ins Unglück zu stürzen. Dabei ist es gleichgültig, ob man diesen Rausch dem Morphium, dem Kokain oder dem Alkohol ›verdankt‹.
Hans Joachim Biermann
dpa – Buchbrief, 4.2.66
Stalingrad
Dem Massengrab entkommen
So zogen sie in die Gefangenschaft, die Überlebenden der 6. Armee in Stalingrad. Es waren noch neunzigtausend, aber nur sechstausend sahen die Heimat wieder, die anderen waren an den Unbilden des Steppenwinters, an Entkräftung, an Hunger und Typhus zugrunde gegangen. ›Stalingrad, Massengrab‹ – Heinz G. Konsalik wollte es noch einmal hinausschreien, mit Bild und Wort. Sicher gibt es keine bessere, auf die Photoarchive beider Seiten gestützte Dokumentation jener Schlacht, die sich Deutschen und Russen unvergeßlich eingeprägt hat. Zum erstenmal kann man auch Bilder des alten Stalingrad und des neuen Wolgograd (photographiert von › stern ‹-Reporter Hilmar Pabel ) vergleichen.
In dieser Woche, da sich in Hamburg die Heimkehrer zum ›Feldgottesdienst‹ (mit anschließender Rede des Bundesverteidigungsministers) zusammenfinden, könnte es manchem nicht schaden, zuvor die Bilder dieses Buches zu betrachten; hier den Feldmarschall, der auf eigenen Wunsch im Auto in die Gefangenschaft fährt, dort die humpelnden Landser, die angefrorenen Füße mit Stroh und Lumpen umwickelt. Oder den steifgefrorenen unbekannten Soldaten in den Ruinen, wozu Konsalik ein Soldatenlied der Wehrmacht zitiert: »Falle, wer fallen mag: / kann er nicht mit uns laufen, / so mag er sich verschnaufen / bis an den jüngsten Tag.«
Die Bilder vom Leiden und Sterben deutscher und russischer Menschen sprechen für sich; des Kommentars Konsaliks hätte es kaum bedurft. Der Ernst seines Engagements gegen den Krieg sei unbestritten, aber er tut des Guten zuviel. Allzu häufiger Gebrauch des Wortes ›Wahnsinn‹ stumpft den Leser ab oder entwertet die Aussage des Dokuments.
Konsalik, Erfolgsautor der Nachkriegszeit, kann wohl nicht anders; er hat, wie er zu seiner Rechtfertigung hervorhebt, im Kriege oft genug im Dreck gelegen. Davongekommen, will er die ›Mär vom Heldentod‹ niederschreien, um zu verhindern, »daß Deutschland, daß die deutsche Jugend vor allem, wieder einmal der Hypnose seiner Politiker, Militärs und Historiker verfallen könnte«. Jene aber, die es wirklich angeht, die Masse derer, die noch in allen Kriegen als Kanonenfutter herhalten mußten, sie wird er nicht erreichen, denn sie werden die fünfundzwanzig Mark dafür nicht erübrigen wollen … Warum nicht ›Stalingrad‹ als Taschenbuch? (Inzwischen als Goldmann-TB erschienen. D. Verl.)
Die Zeit, 13.6.69 (Nr. 24)
Bluthochzeit in Prag
Man kennt ihn als Autor griffig geschriebener Zeitbücher: Konsaliks Ruhm hat mit seinem dokumentarähnlichen ›Stalingrad‹ eine neue Lesergemeinde abseits der Illustriertenromane alter Art erschlossen. Er ist ein gründlicher Mann von vielschichtigem Interesse, das er auf eine bemerkenswerte Art von Allgemeinverständnis umsetzen kann. Aktueller Anlaß zu diesem Roman ist der 21. August 1968, als Sowjetpanzer und Soldaten der Warschauer-Pakt-Staaten Dubceks tschechoslowakische Art des Kommunismus mit Liberaldekoration erstickten. Konsalik hat aus dieser Katastrophe für eine Doppelnation, die mit Sicherheit noch lange nachhallen wird im Literaturbereich, mehr gemacht als einen Tatsachenbericht oder eine Dokumentation. Er versuchte, Weltgeschichte oder kommunistische Politik dorthin zu projizieren, wo sie Hoffnungen zerstört,
Weitere Kostenlose Bücher