Der Autor und sein Werk
die deutsche Filmseele eine minniglich keusche Liebesromanze zwischen der Leutnantin Janina Salja und dem am Blinddarm operierten kindlich naiven Fähnrich Schultheiß gedichtet. Zwei Russinnen im Lager, zwei Deutschen in Liebe anheimfallend. Wenn solche selbstgefällige Rechnung nicht in Völkerversöhnung aufgeht? Und dazu im schlechten Sinne romanhafte Spannungsmomente, ein Streik der Plennys, die Auflehnung wider die Lagerleitung, die geglückte Operation an dem russischen Violinwunderkind, wobei der deutsche Arzt, als er den Chirurgenkittel über die gesteppte Kriegsgefangenenjacke gestreift hat, vom russischen Kollegen mit ›Herr Professor‹ angeredet wird.
Ein Herr Zibaso, der das Drehbuch verfertigte, badet in billigem Edelmut und läßt die Rechnung für uns mit vielen ›Pluspunkten‹ aufgehen. Er ist großmütig genug, uns einen Denunzianten zuzugestehen, der von ›den Männern‹ umgebracht wird. Auf der russischen Seite gibt es außer den zwei hübschen Frauen in Liebe ein Scheusal von einem Oberleutnant, einen Lagerkommandanten mit asiatischen Zügen und einen gescheiten, milden, das System mit angedeuteter Ironie ertragenden Arztmajor, der unserm Professorhelden zur Folie dient.
Man sagt der deutschen Filmkritik gelegentlich nach, sie sei allermeist ethisch und kaum einmal ästhetisch. Wie könnte es anders sein, wenn es um das Moralische so steht, daß die Kritik da ansetzen muß? Im übrigen ist ›Der Arzt von Stalingrad‹ ein Film mit hervorragenden Schauspielern, die durch präzise Darstellung manches von dem ausgleichen, was das Buch verdirbt. Hasse ist von starker Ausstrahlung. In manchen kleinen Gesten ausgezeichnet, so wenn er sich nach der Auseinandersetzung mit seinem vor Leidenschaft rasenden Oberarzt verdrossen und angewidert von dem ganzen Kram einschließlich dem ewigen Einerlei des Elends, zur Wand dreht und sich unter seine kümmerliche Decke zusammenrollt. Wohingegen die Rolle des in die Reihen der rebellierenden Männer tretenden Chefs schlecht zu seiner Intelligenz paßt. Eva Bartok überrascht durch Format und Intelligenz, Hannes Messemer, dessen brillant veristischer SS-Führer in ›Nachts, wenn der Teufel kam‹ unvergessen ist, weiß die Drehbuchschablone des intriganten, eifersüchtigen Scheusals zu einer scharf umrissenen Charakterstudie zu machen. Mario Adorf, der schwachsinnige Mörder desselben Films (›Nachts, wenn der Teufel kam‹), dem man in Amerika einen Oscar zudenkt, während in Deutschland Gerichte gegen ihn aufgeboten werden, vermutlich weil er ausgezeichnet ist, ist ein primitives, hintergründiges Unikum von einem Sanitätsgefreiten, und Leonard Steckel weiß dem russischen Militärarzt Lichter aufzusetzen, die aus dem europäischen Fundus des guten alten Rußland zu stammen scheinen. Der Film bietet eine Fülle von Landsergeschichten und einige Profile des Lagerpersonals, die man als getroffen bezeichnen darf. Das Lager hat sogar Atmosphäre. Die Kamera packt zu und läßt keine Chance aus.
Aber wie es an moralischer Souveränität fehlt, wie sich statt ihrer der alte filmische Kitzel mit Spannung, Gefahr und Leidenschaft einschleicht, so fehlt es auch dem Atmosphärischen an dem entscheidenden Moment: der filmischen Darstellung der unendlich langen Zeit und Hoffnungslosigkeit, die weniger in dramatischen Höhepunkten als im ewigen Einerlei bestand. Aber das alles wäre hinzunehmen, gäbe es nicht den falschen Ton der sentimentalen Tragik aus unverstandenem Edelmut. Sehen wir von den physischen Leiden der Kriegsgefangenschaft ab! Die moralischen waren anders – und schlimmer, als es dieser Film wahrhaben will.
Karl Korn
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.2.58
›Der Arzt von Stalingrad‹ Sowjetische Kriegsgefangenschaft im Spiegel des Films
In den Lichtspieltheatern der Bundesrepublik läuft in diesen Wochen der Film ›Der Arzt von Stalingrad‹, zu dem die Inspiration von der profilierten Persönlichkeit des ehemaligen Lagerarztes Dr. Kohler ausgelöst wurde. Dr. Kohler erwarb sich durch sein Verhalten in der Gefangenschaft das so selten erteilte Prädikat eines Helfers der Menschheit.
Es ist selbstverständlich, daß die ehemaligen Kriegsgefangenen diesem Film besonders interessiert gegenüberstehen, weil sie von ihm erwarten, mit ihrem eigenen Schicksal konfrontiert zu werden, mit einem Stück ihres Lebens schlechthin; es wurde in den Niederungen vieler äußerer Mangelerscheinungen, aber auch auf den höheren Ebenen der Überwindung
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