Der Autor und sein Werk
Viele Zehntausende waren auf diesen Streifen gespannt, da er ihnen noch einmal dieses eigene, oft furchtbare Erleben wach werden zu lassen versprach, und weil er – das war zu hoffen – eine aufrüttelnde Sprache zu der Sattheit und Trägheit der Herzen unserer Zeit sprechen sollte.
Ist es gelungen? – Wir erkennen es durchaus als ein Verdienst an, daß eine Filmgesellschaft bereit war, einen unbequemen Stoff und ein ›heißes Eisen‹ anzupacken. ›Der Arzt von Stalingrad‹, ein Film der Gloria-Filmgesellschaft, ist, das kann niemand bezweifeln, ein mitreißender Film. Mancher Besucher wird aufgewühlt und erschüttert das Kino verlassen.
Wir können auf seine Handlung nur andeutungsweise eingehen: In den zermürbenden Jahren der Kriegsgefangenschaft im Lager 5.110/47 bei Stalingrad wirkt Stabsarzt Dr. Fritz Böhler (O.E. Hasse) still, ausgleichend, tapfer und voll hoher ärztlicher Verantwortung für seine mitgefangenen Kameraden. Trotz russischen Verbots operiert er mit primitivsten Mitteln einen schwerkranken Gefangenen und entreißt ihn dem sicheren Tode. Aber auch an dem kranken Söhnchen des Lagerkommandanten führt er eine lebensgefährliche Operation mit Erfolg aus, die dem Lager als ›Belohnung‹ die Aufhebung der Kollektivstrafe erwirkt. Dr. Böhler, selbst ein schwerkranker Mann, lehnt es ab, in die Heimat zurückzukehren, weil seiner Ansicht nach sein Platz bei seinen Kameraden ist, die seiner Hilfe bis zuletzt bedürfen.
Gegenspielerin ist Kapitän Alexandra Kasalinsskaja (Eva Bartok), erbarmungslos ihre ›Norm‹ erfüllend, die nur drei Prozent Kranke erlaubt. Oberarzt Dr. Sellnow (Walter Reyer) erreicht später durch seine Bindung mit der schönen Russin manche Erleichterungen für die Kranken, stellt sich aber außerhalb des Kreises seiner Kameraden und wird schließlich von dem Lageradjutanten Oberleutnant Pjotr Markow (Hannes Messemer), der die russische Lagerärztin gleichfalls liebt, am Tage seiner Entlassung niedergeschossen. Major Dr. Kresin, der russische Distriktsarzt (Leonard Steckel), sieht in dem deutschen Kollegen den international bekannten Gehirnchirurgen, mit dem ihn bald ein fast kollegiales Verhältnis verbindet.
Der Film, auch dies mag als ein großes Positivum zu werten sein, spricht keine Sprache des Hasses und drückt nicht nur der einen Seite den Stempel ›gut‹ und der anderen Seite das Siegel ›böse‹ auf. Gewünscht hätte man dem Film, daß er ein wenig tiefer auf die Problematik des Lagerlebens eingegangen wäre. So bleibt es nur bei einigen Andeutungen; zu stark liegt das Übergewicht auf der Auseinandersetzung zwischen den Hauptpersonen. Ein Teil dieser Konflikte hätte ohne weiteres auch auf einem anderen Boden entstehen können als in einem Kriegsgefangenenlager.
Es kann aber heute kaum gehofft werden, daß das Thema ›Kriegsgefangenschaft‹ ohne Kompromisse und ohne Berücksichtigung des sogenannten ›Publikumsgeschmacks‹ filmisch behandelt werden kann. Diese Überlegungen mögen auch bei dem ›Arzt von Stalingrad‹ eine große Rolle gespielt haben.
Wenn auch zu diesem Film nicht ein uneingeschränktes ›Ja‹ gesagt werden kann, Anerkennung und Lob verdienen alle Beteiligten, insbesondere der Regisseur Geza von Radvanyi und die hervorragenden Schauspieler.
Hanns Anders
Die Fackel, April 1958 ( Hg. VdK/Dtschld .)
›Der Arzt von Stalingrad‹ – bester Auslandsfilm Vichy macht wieder gut, was Wiesbaden versäumt hat
Bei den 9. Internationalen Filmfestspielen in Vichy (Frankreich) wurde der deutsche Film ›Der Arzt von Stalingrad‹ mit dem ersten Preis als bester ausländischer Film ausgezeichnet. Der Hauptdarsteller O.E. Hasse wurde mit dem Prädikat bester Schauspieler des Wettbewerbs bedacht und Eva Bartok, Inhaberin der weiblichen Hauptrolle, erhielt den Ehrenpreis als zweitbeste Schauspielerin im Ausland.
Diese hohe Anerkennung für einen deutschen Film, der als erster die Problematik des Kriegsgefangenenschicksals aufgriff und sie in einer spannungsreichen Handlung auszudeuten versuchte, ist um so überraschender, weil er in der deutschen Presse teilweise recht hart kritisiert wurde und weil vor allen Dingen die ›Filmbewertungsstelle der Länder der Bundesrepublik Deutschland‹ in Wiesbaden es ablehnte, diesen Film mit einem Prädikat auszuzeichnen. Die ablehnende Haltung des Bewertungsausschusses richtete sich gegen das Drehbuch, das nach Ansicht dieses Ausschusses einem bedrückenden Schicksal nicht gerecht wurde, dem eine
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