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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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ihn doch erst wiederfinden, Gebieterin. Wer weiß, wohin er gerade mit einer Botschaft geschickt worden ist.«
    »Heute nacht«, sagte sie. »Ich habe es schon zu lange entbehren müssen.«
    Ich weiß nicht, was sie mit mir gemacht haben würde, hätte ich den Mann nicht gefunden; aber ich schaffte es und sprach ihn an wie ein junger Edelmann, der will, daß er irgendwohin eine Nachricht überbringt. Bewußt nannte ich ihm nicht meinen Namen. Er jedoch sagte: »Ich heiße Yeyac-Netztlin – Euch stets zu Diensten, Herr!«
    »Einer Dame zu Diensten«, berichtigte ich ihn. »Sie wünscht, daß du ihr heute um Mitternacht im Palast deine Aufwartung machst.«
    Er machte ein betretenes Gesicht und sagte: »Es ist höchst schwierig, nachts weit zu laufen, Herr …« Doch dann fielen seine Augen auf den Ring, den ich auf meiner Handfläche liegen hatte, seine Augen weiteten sich, und er sagte: »Dieser Dame zu Diensten zu sein, würde mich selbstverständlich weder Mitternacht noch Mictlan oder sonst was abhalten.«
    »Es handelt sich um einen Dienst, der Verschwiegenheit erfordert«, sagte ich und hatte dabei einen sauren Geschmack auf der Zunge. »Weise diesen Ring der Wache am Osttor vor, dann wirst du eingelassen.«
    »Ich höre und gehorche, junger Herr. Ich werde zur Stelle sein.«
    Und er war zur Stelle. Ich blieb wach und lauschte an meiner Tür, bis ich Pitza und Yeyac-Netztlin auf Zehenspitzen über den Korridor schleichen hörte. Danach hörte ich nichts mehr, deshalb weiß ich nicht, wie lange er blieb, noch wie er es fertigbrachte, wieder herauszuschlüpfen. Und ich lauschte auch nicht an der Tür, als er zu wiederholten Malen wiederkam. Daher weiß ich auch nicht, wie oft er sie besuchte. Immerhin dauerte es einen ganzen Mond, ehe Jadestein Puppe, vor Langeweile gähnend, mir den Auftrag erteilte, mögliche neue Bettgenossen für sie zu skizzieren; offensichtlich hatte also Yeyac-Netztlin sie über diese Zeitspanne hinweg zufriedengestellt. Der Name dieses Schnellboten bedeutete übrigens passenderweise Lange Beine, und vielleicht war er auch sonst mit einiger Länge begabt.
    Wiewohl Jadestein Puppe meine Zeit während dieses Monds nicht weiter beanspruchte, war mir die ganze Zeit über alles andere als wohl in meiner Haut. Der Verehrte Sprecher kam etwa jeden achten oder neunten Tag, seiner vorgeblich verhätschelten und ungeduldigen Prinzessin-Königin einen Höflichkeitsbesuch abzustatten, und ich war oft dabei und mühte mich, während dieser Unterhaltungen nicht sichtbarlich zu schwitzen. Ich konnte mich nur immer wieder kopfschüttelnd fragen, wieso in aller Götter Namen Nezahualpíli nicht erkannte, daß er eine Frau geheiratet hatte, die reif war, augenblicklich von ihm genommen zu werden. Oder von irgendeinem anderen Mann.
    Die Juweliere, die mit Jade handeln, behaupten, dieser Stein finde sich häufig leicht unter den gewöhnlichen Steinen auf den Feldern, weil er sein Vorhandensein und seine Verfügbarkeit weithin kundtue. Man braucht nur bei Sonnenaufgang hinauszugehen, behaupten sie, und man werde hier und da einen Stein sehen, der einen schwachen, doch unmißverständlichen Dunst ausströme, der stolz verkünde: »In mir ist ein Jadestein verborgen. Komm und hol ihn dir!« Gleich dem hochgeschätzten Edelstein, nach dem sie benannt war, ging auch von Jadestein Puppe irgendeine nicht zu benennende Ausstrahlung oder Vibration aus, die jedem Mann sagte: »Hier bin ich. Komm und nimm mich!« Sollte Nezahualpíli der einzige Mann in der ganzen Einen Welt sein, der ihr Feuer und ihr Bereitsein nicht spürte? Sollte er wirklich so impotent und uninteressiert sein, wie die junge Königin behauptet hatte?
    Nein. Als ich sie zusammen sah und ihnen zuhörte, ging mir auf, daß er sich größten Zartgefühls und größter Zurückhaltung befleißigte. Denn Jadestein Puppe tat in ihrem eigensinnigen Widerstreben, sich mit einem einzigen Liebhaber zu begnügen, alles, damit er in ihr nicht ein mannbares Mädchen in seiner vollen Jugendblüte sähe, sondern eine zarte und unreife Heranwachsende, die vor der Zeit für eine Vernunftehe bestimmt worden war. Während jener Besuche war sie durchaus nicht die Jadestein Puppe, wie ich und ihre Sklavinnen – und wahrscheinlich auch Yeyac-Netztlin – sie so gut kannten. Sie trug züchtige Gewänder, welche ihre aufreizenden Rundungen verbargen und sie als schlankes und gebrechliches Kind erscheinen ließen. Irgendwie unterdrückte sie in seiner Gegenwart ihre sonstige

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