Der Azteke
müßten. Und wenn das geschah, würde Nezahualpíli sich an allen rächen, welche dem ehebrecherischen Treiben der jungen Königin Vorschub geleistet hatten – den Morden, um diesen fortgesetzten Ehebruch zu vertuschen, und den Statuen, die dazu dienten, mit den Morden auch noch großzutun. Ich hatte zumindest die leise Hoffnung, daß man mich von jeder Schuld freisprechen würde, da ich mich strikt an die Befehle Nezahualpílis gehalten hatte. Jadestein Puppes Untergebene hatten jedoch auf ihren Befehl hin gehandelt. Zwar hätten sie nicht wagen können, sich diesen Befehlen zu widersetzen, doch dieser Umstand würde ihnen kaum Gnade von dem entehrten Nezahualpíli eintragen. Sie hatten den Hals bereits jetzt in der blumenumwundenen Schlinge stecken: die Sklavin Pitza, die Torwache und vielleicht Meister Pixquitl, und bald nun auch noch Tlatli und Chimáli …
Mein Vater und meine Schwester umarmten mich herzlich, meine Mutter nicht ganz so warmherzig – was sie damit entschuldigte, daß ihre Arme ganz schlaff seien und müde vom vielen Fegen in den Tempeln. Sie erging sich langatmig über die Vorbereitungen, welche die Frauen für die Feier des Ochpanítztli-Festes trafen, doch davon bekam ich nur sehr wenig mit denn ich zermarterte mir den Kopf, irgendeine List zu finden, allein irgendwohin mit Tzitzi verschwinden zu können. Ich brannte nicht nur darauf, ihr ein paar von den Dingen beizubringen, die ich von Jadestein Puppe und Etwas Köstlichem gelernt hatte. Genausosehr war mir daran gelegen, mit ihr über meine zweifelhafte Stellung am Hof von Texcóco zu reden und sie um Rat zu fragen, was ich – falls überhaupt – tun könne, um zu verhindern, daß nun auch noch Chimàli und Tlatli dorthin kamen.
Diese Gelegenheit sollte sich nie ergeben. Die Nacht brach herein, und meine Mutter klagte immer noch über die viele Arbeit, die mit dem »Fegen der Straßen« verbunden war. Die schwarze Nacht brach herein, und mit ihr kamen die schwarzgewandeten Priester. Vier waren es, und sie kamen wegen meiner Schwester.
Ohne den Herrn des Hauses auch nur mit einem »Mixpantzinco« zu begrüßen – Priester hatten stets nur Verachtung für die gewöhnlichen Höflichkeiten übrig –, verlangte einer von ihnen, ohne sich an jemand im besonderen zu wenden, zu wissen: »Wohnt hier die Jungfrau Chiucnáui-Acatl Tzitzitlíni?« Seine Stimme klang unbeholfen und verschleimt, so wie sich ein kollernder Truthahn anhört, und seine Worte waren nicht leicht zu verstehen. Das war bei vielen Priestern so, denn eine ihrer Bußübungen bestand darin, sich ein Loch in die Zunge zu bohren und dieses von Zeit zu Zeit auszuweiten, indem sie Dornen, Schnurstränge oder gar Schilfrohr hindurchsteckten.
»Meine Tochter«, sagte unsere Mutter und vollführte eine stolze Geste in ihre Richtung. »Neun Rohr, Feines Glöckchengeläut.«
»Tzitzitlíni«, wandte sich der verkommene alte Mann jetzt direkt an sie. »Wir sind gekommen, dich davon in Kenntnis zu setzen, daß du ausgewählt worden bist, in der letzten Nacht des Ochpanítztli-Festes die Rolle der Göttin Teteoinan zu spielen.«
»Nein«, sagte meine Schwester mit ihren Lippen, wiewohl sich kein Laut von ihnen löste. Fassungslos starrte sie die vier Männer in ihren zerrissenen Roben an und fuhr sich mit bebender Hand übers Gesicht. Das Kitzbraun ihrer Haut war unversehens der hellsten Bernsteinfarbe gewichen.
»Du wirst uns begleiten«, sagte ein anderer Priester. »Es gilt, vorher einige Formalitäten zu erledigen.«
»Nein«, sagte Tzitzi abermals, diesmal laut. Sie wandte den Kopf und sah mich an, und ich wäre unter dem Flehen ihrer Augen am liebsten in den Erdboden versunken. Ihre Pupillen waren geweitet vor Entsetzen und genauso bodenlos schwarz wie die von Jadestein Puppe, wenn sie ihre pupillenerweiternden Tropfen nahm. Meine Schwester wußte genausogut wie ich, was das hieß, »vorher einige Formalitäten zu erledigen« – es handelte sich dabei um eine von den Gehilfinnen der Priester durchgeführte körperliche Untersuchung, um festzustellen, ob die so geehrte Jungfrau auch tatsächlich noch Jungfrau sei. Wie ich schon gesagt habe, hätte Tzitzi sich darauf verstanden, als unberührte Jungfrau dazustehen und selbst den argwöhnischsten Mann zu täuschen. Nur hatte sie keine Ahnung gehabt, daß diese Geier von Priestern sich aus heiterem Himmel auf sie herniederstürzen würden, und keinen Grund gehabt, sich darauf vorzubereiten; nun war es zu spät
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