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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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samt ihrer Ehrengarde von geiergierigen Priestern in der Dunkelheit verschwunden.
    Sie kam an diesem Abend nicht wieder nach Hause.
    Wir saßen da und warteten noch weit über die übliche Schlafenszeit hinaus, über die Zeit hinaus, da durch das Muschelhorn des Tempels Mitternacht verkündet wurde – und keiner von uns sagte ein Wort. Mein Vater schaute besorgt drein – zweifellos seiner Tochter und der ungewöhnlichen Verzögerung wegen, welche die »Formalitäten vorher« erfuhren. Meine Mutter machte gleichfalls ein besorgtes Gesicht, zweifellos, weil ihr listig eingefädelter Plan der Selbsterhöhung irgendwie ans Licht gekommen war oder sonst zunichte gemacht worden wäre. Zuletzt jedoch lachte sie auf und sagte: »Aber selbstverständlich! Die Priester haben Tzitzi doch nicht im Dunkeln heimschicken können. Die Tempeljungfrauen haben ihr eine Kammer gegeben für die Nacht. Es ist töricht von uns, schlaflos zu warten. Laßt uns zu Bett gehen.«
    Zwar streckte ich mich auf meinem Lager aus, doch schlafen konnte ich nicht. Mich quälte die Vorstellung, daß die Frauen, die sie untersuchen sollten, festgestellt hatten, Tzitzi sei keine Jungfrau mehr – was sonst sollten sie feststellen? – und daß die Priester sich diesen Umstand gierig zunutze machten. Sämtliche Priester all unserer Götter waren durch Eid zur Ehelosigkeit verpflichtet, doch glaubte kein vernünftiger Mensch, daß sie sich daran hielten. Die Tempelfrauen konnten wahrheitsgemäß berichten, Tzitzi sei bereits ohne ihr Chitoli-Häutchen und jungfräuliche Enge zu ihnen gekommen, was nur auf ihre eigene Liederlichkeit geschoben werden könne. Mochte auch in der Zwischenzeit geschehen sein, was wolle, wenn sie den Tempel wieder verließ, konnte sie keinerlei Vorwürfe gegen die Priester beweisen.
    Verzweifelt warf ich mich auf meinem Lager hin und her. Ich stellte mir vor, daß diese Priester sich Tzitzi die ganze Nacht hindurch vornähmen, einer nach dem anderen, und schadenfroh sich ein diebisches Vergnügen daraus machten, all die anderen Priester all der anderen Tempel auf der Insel herbeizurufen. Nicht, weil irgendeiner von ihnen in dieser Beziehung ausgehungert gewesen wäre; denn wie es hieß, hielten sie sich je nach Lust und Bedürfnis an die Tempelfrauen. Doch wie es euch, ehrwürdige Patres, vielleicht auch an euren eigenen Nonnen aufgefallen ist, sind die Frauen, welche sich dem Tempeldienst weihen, selten mit einem Aussehen und einem
    Körper begabt, die einen Mann vor Verlangen von Sinnen kommen lassen. Die Priester mußten an diesem Abend überglücklich gewesen sein, in der Gestalt des begehrenswertesten Mädchens von ganz Xaltócan des Geschenks frischen Fleisches teilhaftig geworden zu sein.
    Ich sah sie förmlich nach Tzitzis wehrlos daliegendem Körper Schlange stehen, in ganzen Schwärmen, wie Geier, die von gefühllosem Aas angezogen werden. Mit flatternden Gewändern gleich flügelschlagenden Geiern, zischend wie Geier, krallenbewehrt wie Geier und schwarz wie Geier. Denn sie waren noch an einen anderen Eid gebunden: sich nie wieder eines Gewandes zu entledigen, nachdem sie die priesterlichen Gelübde abgelegt hatten. Doch selbst wenn sie diese Gelübde brachen und nackt über Tzitzi herfielen – ihr Körper würde dennoch von schwarzem Schmutz starren und schuppig sein, da sie sich seit Ablegung ihrer Gelübde nie wieder gewaschen hatten.
    Ich hoffe, ich habe mir das in fiebriger Überhitzung alles nur eingebildet. Ich hoffe, daß meine wunderschöne und geliebte Schwester in dieser Nacht nicht als Aas diente, das von den Geiern zerrissen wurde. Doch kein Priester verlor hinterher auch nur ein einziges Wort über ihren Tempelaufenthalt – weder um meine Befürchtungen zu bestätigen, noch sie zu entkräften; und Tzitzi kam auch am nächsten Morgen nicht heim.
    Dafür kam ein Priester, einer von den vieren vom Abend zuvor, und sein Gesicht war bar jeden Ausdrucks. Er berichtete schlicht: »Deine Tochter kann die Teteoinan in der Feier nicht darstellen. Sie hat zumindest einmal zuvor einem Manne beigewohnt.«
    »Yya ouiya ayya!« wehklagte meine Mutter. »Das macht alles zunichte.«
    »Ich verstehe nicht«, murmelte mein Vater. »Sie ist immer ein so gutes, braves Mädchen gewesen. Ich kann nicht glauben …«
    »Vielleicht«, fiel der Priester ihm ungerührt ins Wort, »willst du deine Tochter statt dessen freiwillig für das Opfer zur Verfügung stellen.«
    Durch zusammengebissene Zähne hindurch zischte ich den

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