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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Priester an: »Wo ist sie?«
    Gleichmütig sagte er: »Als die Frauen, die sie untersuchten, feststellten, daß sie sich nicht eigne, haben wir selbstverständlich sogleich im Palast wissen lassen, daß eine andere Kandidatin ausgesucht werden müsse. Woraufhin der Palast forderte, Neun Rohr Tzitzitlíni solle heute morgen hingebracht werden, zwecks einer Unterredung mit …«
    »Pactli!« entfuhr es mir.
    »Er wird verzweifelt sein«, sagte mein Vater und schüttelte traurig den Kopf.
    »Außer sich vor Wut wird er sein, du Narr!« hielt meine Mutter ihm vor. »Wir alle werden diesen Zorn zu spüren bekommen, und das nur wegen deiner Schlampe von Tochter.«
    Ich erklärte: »Ich werde sofort zum Palast gehen.«
    »Nein«, hielt der Priester mich entschlossen davon ab. »Der Hof hat zweifellos Verständnis für deine Sorge, doch lautete die Botschaft ganz eindeutig: nur der Tochter dieser Familie soll Zutritt gewährt werden. Zwei unserer Tempelfrauen begleiten sie jetzt dorthin. Keiner von euch sonst hat um eine Unterredung zu bitten und hinzukommen, es sei denn, er würde gerufen.«
    Tzitzi kam auch an diesem Tag nicht nach Hause. Aber es suchte uns auch sonst kein Mensch auf, denn mittlerweile mußte die ganze Insel von unserem Unglück erfahren haben. Nicht einmal die Frauen, welche mit den Festvorbereitungen beschäftigt waren, kamen, meine Mutter heute zum Fegen abzuholen. Dieser Beweis dafür, daß wir geächtet waren, noch dazu von Frauen, auf die sie bald herabzusehen gehofft hatte, trieb sie dazu, womöglich noch lauter als sonst zu zetern und zu keifen. Sie verbrachte den traurigen Tag damit, meinen Vater mit Vorwürfen zu überhäufen, er habe seine Tochter »herumstreunen« lassen; mich schalt sie, zweifellos hätte ich meine Schwester mit einigen meiner »üblen Freunde« zusammengebracht und zugelassen, daß einer von ihnen sie verführte. Diese Unterstellung war zwar lächerlich, aber sie brachte mich auf einen Gedanken.
    Ich schlüpfte aus dem Haus und suchte Chimàli und Tlatli auf. Sie begrüßten mich mit einiger Verlegenheit und unbeholfenen Mitleidsbekundungen.
    Ich sagte: »Einer von euch kann Tzitzitlíni helfen, wenn er will.«
    »Wenn es etwas gibt, was wir tun können, werden wir das selbstverständlich tun«, sagte Chimàli. »Laß hören, Maulwurf.«
    »Ihr wißt, seit wie vielen Jahren der unerträgliche Pactli meine Schwester bestürmt. Jeder weiß das. Und jetzt weiß auch jeder, daß Tzitzi einen anderen ihm vorzog. Folglich ist der Herr Freude ins Licht geraten, liebeskrank und betört worden zu sein und hinter einem Mädchen herzustellen, das ihn verachtet. Um sich für seinen verletzten Stolz zu rächen, wird er jetzt seine Demütigung an ihr auslassen, und das kann er auf grauenhafte Weise tun. Einer von euch könnte ihn daran hindern, das zu tun.«
    »Und wie?« fragte Tlatli.
    »Indem er sie heiratet«, sagte ich.
    Kein Mensch wird jemals wissen, welch einen Stoß ich meinem Herzen geben mußte, das zu sagen, denn dieses Angebot hieß nichts weiter als: »Ich verzichte auf sie. Nehmt sie mir weg.« Meine beiden Freunde schraken zurück und blickten mich mit großen erstaunten Augen an.
    »Meine Schwester hat gefehlt«, fuhr ich fort, »das kann ich nicht leugnen. Aber ihr beide kennt sie aus der Zeit, wo wir alle Kinder waren, und ganz gewiß seid ihr euch darüber im klaren, daß sie keine Schlampe ist, die sich jedem an den Hals wirft. Wenn ihr ihr den Fehltritt verzeiht und glaubt, daß sie ihn nur tat, um der unwillkommenen Aussicht zu entgehen, den Herrn Freude heiraten zu müssen, wißt ihr auch, daß ihr keine keuschere und treuere und redlichere Frau für euch finden könnt. Ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, daß sie wahrscheinlich das schönste Mädchen ist, das ihr jemals finden könntet.«
    Voller Unbehagen tauschten die beiden einen Blick. Das konnte ich ihnen kaum verargen, denn dieser radikale Vorschlag muß sie mit einer Plötzlichkeit getroffen haben wie ein Blitz, den Tlaloc herniederschleudert.
    »Ihr seid Tzitzis einzige Hoffnung«, sagte ich eindringlich. »Jetzt hat Pactli sie in der Gewalt – als eine Jungfrau, bei der man plötzlich entdeckt hat daß sie gar keine ist. Er kann sie beschuldigen, ›rittlings auf die Straße‹ gegangen zu sein. Er kann sogar behaupten – was gelogen wäre –, daß sie ihm verlobt gewesen und ihm absichtlich untreu gewesen sei. Das wäre gleichbedeutend mit Ehebruch, und er könnte Herrn Rot Reiher dazu bringen, sie

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