Der Azteke
Gesicht heraufgespritzt. Als ich mitten in der Nacht aufwachte, war mein Gesicht tränennaß.
Die Aufforderung, sich im Palast des Tecútli einzufinden, kam am nächsten Morgen; und zwar erging sie nicht, wie man hätte erwarten sollen, an das Familienoberhaupt, meinen Vater Tepetzàlan. Vielmehr verkündete der Bote, die Herren Rot Reiher und Freude erwarteten, daß meine Mutter sich augenblicklich bei ihnen einfinde. Gedrückt und schweigend saß mein Vater mit gebeugtem Kopf da und wagte es die ganze Zeit nicht, da wir auf ihre Rückkehr warteten, mir in die Augen zu sehen.
Bei ihrer Rückkehr war sie bleich, und es zitterten ihr die Hände, als sie das Umschlagtuch von Kopf und Schultern nahm; doch sonst war sie in ihrer ganzen Art merkwürdig aufgekratzt. Sie war nicht mehr die Frau, in welcher der Zorn darüber nagte, eines Titels verlustig gegangen zu sein; aber sie war auch ganz und gar nicht die Mutter, die den schmerzlichen Verlust einer Tochter beklagte. Sie sagte: »Es sieht aus, als hätten wir eine Tochter verloren; aber wir haben, scheint's, nicht alles verloren.«
»Was heißt: sie verloren?« fragte ich.
»Tzitzi ist nie im Palast angekommen«, sagte meine Mutter, ohne mich anzublicken. »Sie ist den Tempelfrauen, die sie hinbringen sollten, entschlüpft und weggelaufen. Selbstverständlich ist der arme Páctlitzin nahezu von Sinnen über den Verlauf, den alles genommen hat. Als die Frauen ihre Flucht meldeten, gab er Befehl, die ganze Insel abzusuchen. Ein Vogelsteller hat gemeldet, ihm fehle ein Kanu. Du erinnerst dich« ~ dies zu meinem Vater –, »daß deine Tochter einmal gedroht hat, genau das zu tun. Ein Acáli zu stehlen und aufs Festland zu entfliehen.«
»Ja«, sagte er noch ganz benommen.
»Nun, sie scheint das getan zu haben. Man weiß nicht, in welche Richtung sie sich gewendet hat, und daher hat Pactli die Suche nach ihr widerstrebend abgeblasen. Er ist genauso gebrochen wie wir.« Das war so offensichtlich eine Lüge, daß meine Mutter mich erst gar nicht zu Wort kommen ließ und hastig weitersprach. »Wir müssen Tzitzitlíni als verloren aufgeben. Sie ist geflohen, genau so, wie sie es uns angedroht hat. Für immer. Kein Mensch ist dafür verantwortlich, nur sie ganz allein. Und sie wird nie wagen, sich auf Xaltócan noch einmal blicken zu lassen.«
Ich sagte: »Von alledem glaube ich kein Wort.« Sie jedoch beachtete mich nicht, sondern wandte sich weiter an meinen Vater:
»Wie Pactli, teilt der Tecútli unseren Schmerz, hält uns aber nicht für verantwortlich für das schlechte Betragen unserer ungeratenen Tochter. Zu mir hat er gesagt: ›Ich habe immer Hochachtung vor Kopf Neiger gehabte Und dann hat er noch zu mir gesagt: ›Ich möchte etwas tun, um ihm über seine Enttäuschung und seinen Verlust hinwegzuhelfen.‹ Und zuletzt hat er zu mir gesagt: ›Was meinst du, ob Kopf Neiger wohl die Beförderung annehmen würde, Oberaufseher über alle Steinbrüche zu werden ?‹«
Der gebeugte Kopf meines Vaters fuhr in die Höhe, und er rief aus: »Was?«
»Genau das waren die Worte, die Herr Rot Reiher gesprochen hat. Die Oberaufsicht über alle Steinbrüche von Xaltócan. Er sagte: ›Damit ist zwar nicht die Schande getilgt, die er erlitten hat, aber vielleicht beweist ihm das, wie sehr ich ihn schätzen«
Abermals sagte ich: »Davon glaube ich kein Wort.« Der Herr Rot Reiher hatte meinen Vater nie zuvor Kopf Neiger genannt; ich bezweifle sogar, daß er Tepetzàlans Spitznamen überhaupt kannte.
Meinen Einwurf immer noch nicht zur Kenntnis nehmend, sagte meine Mutter zu meinem Vater: »Wir haben Pech gehabt mit unserer Tochter, doch haben wir Glück, einen solchen Tecútli zu haben. Jeder andere hätte uns alle womöglich von der Insel verbannt. Überlege doch einmal, Rot Reihers eigener Sohn ist von unserer Tochter beleidigt und der Lächerlichkeit preisgegeben worden – und er bietet dir dieses Zeichen des Mitgefühls.«
»Oberaufsehen über alle Steinbrüche …«, murmelte mein Vater und sah dabei eher aus, als hätte er einen der Steine in seinem Steinbruch auf den Kopf bekommen. »Dann wäre ich der jüngste Oberaufseher, den es je …«
»Wirst du annehmen?« fragte meine Mutter.
Mein Vater stammelte: »Nun … nun …, das ist ein geringer Trost dafür, eine geliebte Tochter verloren zu haben, mag sie noch so sehr gefehlt haben …«
»Wirst du annehmen?« wiederholte meine Mutter, in schärferem Ton diesmal.
»Mir wird in Freundschaft eine Hand
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