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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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weniger als einen Mond im Heer gedient hatte, hatte man mich bereits in einen Rang erhoben, den zu erreichen die meisten Männer viele, viele Kriege mitmachen müssen. Der Rang eines Tequiua, der soviel bedeutet wie »Raubtier«, wurde für gewöhnlich nur solchen verliehen, die mindestens vier Feinde in der Schlacht erschlagen oder gefangen genommen hatten.
    Ich war auf dieses Gespräch mit Ahuítzotl wahrhaftig nicht sonderlich erpicht gewesen, wußte ich doch nicht, was ich zu erwarten hatte; überdies stand ich in direktem Zusammenhang mit Taten und Fall der verstorbenen Tochter dieses Uey-Tlatoáni. Offenbar brachte er mich aber nicht mit diesem Skandal in Verbindung; auch war es in diesem Falle von Vorteil, den höchst geläufigen Namen Mixtli zu tragen, und so atmete ich erleichtert auf, als er mich so wohlwollend betrachtete, wie das bei seinem wilden Aussehen möglich war. Außerdem ließ ich mich von seiner Art zu sprechen tief beeindrucken. Es war das erstemal, daß ich einen einzelnen Mann von sich als von »wir« und »uns« sprechen hörte.
    »Nezahualpílis Brief«, sagte er, nachdem er ihn überflogen hatte, »ist für dich wesentlich schmeichelhafter als für uns, junger Krieger. Er schlägt uns boshaft vor, ihm das nächstemal ein paar Kompanien kriegswütiger Schreiberlinge wie dich zu schicken, statt stumpfe Pfeile wie Xococ.« Ahuítzotl lächelte, so gut er konnte, und ähnelte dabei zunehmend dem Bärenkopf über seinem Thron. »Des weiteren meint er, mit ausreichenden Truppen hätten wir mit diesem Krieg endlich das Gebiet der widerspenstigen Texcaltéca unterwerfen können. Teilst du diese Meinung?«
    »Wie käme ich dazu, Hoher Gebieter, anderer Meinung zu sein als ein so erfahrener Befehlshaber wie der Verehrte Sprecher Nezahualpíli. Ich weiß nur, daß seine Kriegslist in Texcála einem ganzen Heer zum Verhängnis wurde. Wären wir imstande gewesen, weiter vorzustoßen, hätten alle nachfolgenden Verteidigungsstellungen nur schwächer und immer schwächer sein können.«
    »Du bist ein Wortkundiger«, sagte Ahuítzotl. »Kannst du für uns einen ausführlichen Bericht über Stellungen und Bewegungen sämtlicher am Kampf beteiligten Truppen niederschreiben und die dazugehörigen Karten zeichnen?«
    »Jawohl, Verehrter Sprecher. Das kann ich.«
    »Dann tu's! Du hast sechs Tage, ehe die Feierlichkeiten für die Einweihung der Tempelpyramide beginnen; dann wird jede Arbeit ruhen, und du wirst das Vorrecht haben, deinen erlauchten Gefangenen seinem Blumentod zu überantworten. Page, laß für diesen Mann vom Palastverwalter eine passende Wohnung bereitstellen samt allem nötigen Arbeitsmaterial. Du bist entlassen, Tequíua Mixtli.«
    Meine Gemächer waren ebenso groß und behaglich wie jene, deren ich mich in Texcóco erfreut hatte, und da sie im Obergeschoß gelegen waren, wiesen sie auch noch den Vorteil auf, daß günstiges Licht für meine Arbeit von oben hereinfiel. Der Verwalter des Palastes bot mir einen Diener an, doch ich schickte den Pagen aus, statt dessen Cozcatl für mich zu suchen; ich wies dann Cozcatl an, uns beiden Kleider zum Wechseln zu besorgen, während ich mehrere Male badete und die Annehmlichkeiten des Schwitzbades genoß.
    Als erstes zeichnete ich die Karte. Sie bedeckte viele gefaltete Blätter und ergab, auseinandergenommen, eine beträchtliche Länge. Ich begann mit dem Stadtzeichen von Texcóco, dann zeichnete ich die kleinen schwarzen Fußabdrücke ein, welche den Marsch von dort nach Osten darstellten, nebst zugehörigen stilisierten Zeichen für Berge und solchen, aus denen hervorging, wo wir übernachtet hatten; zuletzt fügte ich dort, wo die Schlacht entbrannt war, noch das Symbol für Fluß ein. Dort prangte auch das überall anerkannte Symbol für einen überwältigenden Sieg: ein brennender Tempel – wiewohl wir in Wirklichkeit keinerlei Teocáli zerstört oder auch nur gesehen hatten – und das Symbol dafür, daß wir Gefangene gemacht hatten: die Zeichnung eines Kriegers, der einen anderen bei den Haaren packt. Danach zeichnete ich die Fußabdrücke abwechselnd in schwarzer wie in roter Farbe, um Sieger und Besiegte anzudeuten, die den in westliche Richtung führenden Marsch nach Tenochtítlan zurücklegten.
    Ich verließ meine Gemächer nicht ein einziges Mal, nahm dort sogar meine Mahlzeiten ein und schloß das Zeichnen der Karte binnen zwei Tagen ab. Dann machte ich mich an den wesentlich verzwickteren Bericht über Strategie und Taktik der

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