Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
Vom Netzwerk:
zurück, damit der Verehrte Sprecher sich meinen Bericht über den Sieg anhören kann.«
    Zu den neu hinzugekommenen Baulichkeiten des Großen Platzes gehörte auch die ringsum verlaufende Schlangenmauer. Aus Stein errichtet und mit weißem Stuck verkleidet war sie von doppelter Mannshöhe und oben gewellt wie eine sich windende Schlange. Sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite der Mauer ragten in regelmäßigen Abständen Steine vor, die wie Schlangenköpfe gemeißelt und angestrichen waren. Unterbrochen wurde die Mauer an drei Stellen – überall dort, wo im Norden, Westen und Süden die drei breiten Prachtstraßen vom Platz fortführten. In bestimmten Abständen waren große Holztore in die Mauer eingelassen, welche zu den wichtigsten außerhalb der Mauer gelegenen Gebäuden führten.
    Eines davon war der neuerrichtete Palast Ahuítzotls, der jenseits der Mauer in der Nordwestecke der Schlangenmauer aufragte. Er war mindestens ebenso groß wie jeder der Paläste seiner Vorgänger auf dem Thron von Tenochtítlan, genauso groß wie der Palast Nezahualpílis von Texcóco, aber womöglich noch verschwenderischer und luxuriöser ausgestattet. Da er noch ganz neu war, hatte man ihn in den neuesten Kunststilen geschmückt, und er barg sämtliche modernen Annehmlichkeiten. So wiesen zum Beispiel die Räume des Obergeschosses in der Decke Luken auf, die sich aufschieben ließen, damit bei gutem Wetter von oben Licht einfiel.
    Die vermutlich auffälligste Besonderheit des an der Vorderseite nach innen gewölbten quadratischen Baus war, daß er rittlings über einem der Kanäle Tenochtítlans saß. Auf diese Weise konnte man den Palast entweder vom Großen Platz aus durch die Schlangenmauer betreten, oder man konnte ihn vom Kanu aus erreichen. Ein Adliger, der müßig in seinem übergroßen, mit Kissen ausgepolsterten Acáli ruhte – aber auch ein gewöhnlicher Bootsmann, der eine Ladung Süßkartoffeln ablieferte – konnte, wohin er auch wollte, sich dieses erfreulich angenehmen Wasserwegs bedienen. Dabei glitt er durch einen höhlengleichen Korridor mit strahlend neuen Wandgemälden, dann durch Ahuítzotls üppig grünen, außerordentlich gepflegten und als Garten angelegten Innenhof und dann nochmals durch einen weiteren gähnenden überdachten Korridor voll neuer, eindrucksvoller gemeißelter Standbilder, ehe er wieder in den öffentlichen Kanal einmündete.
    Der Page führte uns nahezu im Laufschritt durch das Portal in der Schlangenmauer in den Palast hinein, dann über Galerien und um Ecken herum bis in einen Raum, dessen gesamter Wandschmuck aus Jagd- und Kriegswaffen bestand. Jaguar-, Ozelot- und Silberlöwenfelle sowie Alligatorenhäute lagen als Brücken auf dem Fußboden und als Decken über niedrigen Stühlen, Bänken und anderen Sitzgelegenheiten, Ahuítzotl, ein vierschrötiger Mann mit kantigem Kopf und breitem Gesicht, saß auf einem erhöhten Thron, der vollständig vom dicken weichen Pelz eines der riesigen Bären bedeckt war, die weit von hier in den nördlichen Bergen zuhause sind – jenes gefährlichen Tiers, das ihr Spanier den Osopardo oder Grizzly-Bär nennt. Sein mächtiger Kopf ragte drohend über dem des Uey-Tlatoáni, und sein aufgesperrter Rachen ließ Reißzähne erkennen, so groß wie mein Finger. Ahuítzotls Gesicht unmittelbar darunter schaute nicht minder bedrohlich drein.
    Der Page, Xococ und ich fielen aufs Knie, um die Geste des Erdeküssens zu vollführen. Als Ahuítzotl uns barsch aufforderte, uns zu erheben, sagte der Pfeilritter: »Wie Ihr befohlen habt, Verehrter Sprecher, bringe ich den Iyac namens …«
    Brüsk unterbrach Ahuítzotl ihn. »Du bringst aber auch einen Brief von Nezahualpíli. Gib ihn uns. Und wenn du in dein Hauptquartier zurückkehrst, Xococ, trage auf deiner Musterrolle ein, daß der Iyac Mixtli kraft unseres Befehls in den Rang eines Tequiua erhoben worden ist. Du bist entlassen.«
    »Aber Hoher Gebieter«, sagte Xococ wie vor den Kopf geschlagen. »Wollt Ihr denn nicht meinen Bericht über die Schlacht gegen Texcála anhören?«
    »Was weißt denn du davon? Außer, daß du von hier aus hin- und dann wieder zurückmarschiert bist? Das wollen wir von dem Tequíua Mixtli hören, der dabei mitgekämpft hat. Wir haben gesagt, du bist entlassen, Xococ. Geh!«
    Der Ritter schenkte mir einen haßerfüllten Blick und glitt dann rückwärts gehend aus dem Raum hinaus. Ich achtete nicht weiter darauf, war ich doch selbst nicht wenig benommen. Nachdem ich nun

Weitere Kostenlose Bücher