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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Gebete zu den Göttern und vergrub sie unter den Herdsteinen der Küche. Dann eilte ich wieder nach oben und wartete ungeduldig darauf, daß man mir gestattete, einen ersten Blick auf meine Tochter zu werfen.
    Ich gab meiner matt lächelnden Frau einen Kuß und betrachtete durch meinen Topas das in ihre Armbeuge gebettete Zwergengesicht. Ich hatte die frischgeborenen Sprößlinge anderer Eltern gesehen, und so war ich nicht erschrocken über den Anblick; gleichwohl war ich ein wenig enttäuscht, daß unserer den anderen in keiner Weise überlegen war. Sie war gerötet und verschrumpelt wie eine Chopini-Pfefferschote und kahlköpfig und häßlich wie ein alter Purémpe. Ich bemühte mich, eine Woge aufsteigender Liebe in mir zu empfinden, wie es sich gehörte, doch vergebens. Alle versicherten mir, sie sei wirklich und wahrhaftig meine Tochter, ein neues Menschenkind, doch wäre ich wohl genauso bereit gewesen, ihnen zu glauben, wenn sie mir gesagt hätten, es handele sich um ein frischgeborenes, noch unbehaartes Brülläffchen. Zumindest brüllte sie so.
    Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß das Kind mir von Tag zu Tag menschlicher vorkam und ich anfing, sie wohlwollender und liebevoller zu betrachten. Ich nannte sie Cocóton, was ein gebräuchlicher Kosename bei uns für kleine Mädchen ist und soviel bedeutet wie Brotkrume oder Krümel. Es dauerte auch nicht lange, da bekundete Cocóton eine Ähnlichkeit mit ihrer Mutter und damit notwendigerweise auch mit ihrer Tante, womit ich sagen will, daß kein Baby schneller schön geworden ist als sie. Als sie Haare bekam, waren es Löckchen. Die Wimpern bildeten sich aus, und zwar – wenn auch winzig klein – genauso wie die kolibri-flügelhaften Wimpern von Zyanya und Béu. Ihre Brauen traten deutlich hervor, und auch sie zeigten den gleichen Flügelschwung wie die von Zyanya und Béu. Sie fing an, öfter zu lächeln als zu weinen, und ihr Lächeln war das von Zyanya und zwang alle um sie herum, gleichfalls zu lächeln. Selbst Béu, die in den letzten Jahren zunehmend griesgrämig geworden war, sah sich jetzt häufig genötigt, das gleiche strahlende Lächeln aufzusetzen.
    Zyanya konnte bald wieder aufstehen, wiewohl ihr ganzes Tun sich eine Zeitlang nur um Cocóton drehte, die einfach forderte, daß ihr Milchtier ihr häufig zur Verfügung stehe. Béus Anwesenheit machte es unnötig, daß ich mich weiterhin um das Wohlergehen von Zyanya und dem Baby kümmerte, und beide Frauen gingen häufig über meine unerbetenen Vorschläge und Aufmerksamkeiten einfach hinweg. Gleichwohl bestand ich bisweilen darauf, daß man mir gehorche, einfach weil ich der Herr im Hause war. Als Cocóton fast zwei Monde alt war und nicht mehr so häufig auf ihre Milchversorgerin angewiesen war, ließ Zyanya Zeichen der Unruhe erkennen.
    Sie war nunmehr seit Monden ans Haus gefesselt gewesen und nicht weiter hinausgekommen ins Freie als auf unseren Dachgarten, um in den Strahlen von Tonatíu zu baden und die frische Brise von Ehécatl zu genießen. Gern würde sie sich einmal wieder weiter hinauswagen, erklärte sie, um mich dann daran zu erinnern, daß bald die Feier zu Ehren von Xipe Totec in Dem Herzen Der Einen Welt abgehalten werde. Daran wolle sie teilnehmen, was ich ihr aber rundheraus abschlug.
    Ich erklärte: »Cocóton ist ohne Makel, gesund an allen Gliedern und offenbar auch mit vollem Sehvermögen auf die Welt gekommen – dank ihrem Tonáli, oder unserem, oder dank dem guten Willen der Götter. Warum sie jetzt irgendwelchen Gefahren aussetzen? Solange du sie nährst, müssen wir dafür sorgen, daß keine bösen Einflüsse in deine Milch übergehen, dadurch etwa, daß du dich erschrickst oder dich aufregst, wenn du etwas Furchtbares siehst. Und ich kann mir nun mal nichts vorstellen, was geeigneter wäre, dich nicht zu entsetzen, als die Feier des Xipe-Totec-Festes. Laß uns irgendwo anders hingehen, Geliebte, nur nicht dorthin.«
    Oh ja, Euer Exzellenz, ich war oft Zeuge gewesen, wie Xipe Totec geehrt wurde, denn ihr Fest war eines der wichtigsten religiösen Rituale, welche wir Mexíca und auch viele andere Völker befolgten. Die Zeremonie war beeindruckend, man könnte sogar sagen, unvergeßlich, doch nicht einmal damals konnte ich recht glauben, daß irgendeiner, der daran teilnahm oder auch nur zuschaute, es genossen haben kann. Wiewohl mittlerweile viele Jahre vergangen sind, seit ich das letzte Mal Zeuge von Xipe Totecs Sterben und Wiedergeburt gewesen war, kann ich es kaum

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