Der Azteke
fragte, war: »Haben wir sie gefunden?« Als beide den Kopf schüttelten, fuhr ich sie an: »Ich habe euch befohlen, jeden Ziegel umzudrehen!«
»Herr, das ist unmöglich«, wimmerte Stern Sänger. »Das Wasser steigt wieder. Ich bin zurückgekehrt und gerade noch rechtzeitig gekommen, sonst wäret Ihr ertrunken.«
»Wir wußten nicht recht, ob wir Euch wecken sollten«, sagte Türkis offensichtlich voller Angst. »Der Verehrte Sprecher hat befohlen, daß alle die Stadt zu verlassen haben, ehe sie ganz untergegangen ist.«
Und so kam es, daß ich diese Nacht schlaflos auf einem Hügel saß, einer von vielen schlafenden Flüchtlingen. »Langer Weg«, hatte Cocóton unterwegs bemerkt. Da nur die ersten Menschen, welche Tenochtítlan verlassen hatten, auf dem Festland Unterkunft gefunden hatten, blieben diejenigen, die ihnen folgten, einfach stehen, wo sie waren, und hatten sich auf dem Boden ausgestreckt. »Dunkle Nacht«, sagte meine Tochter zutreffend. Wir vier hatten nicht einmal einen Baum, Schutz darunter zu suchen, doch hatte Türkis vorsorglich daran gedacht, Decken mitzunehmen. Sie, Stern Sänger und Cocóton hatten sich in die ihren eingewickelt, lagen auf der Erde und schliefen fest, wohingegen ich, die Decke um die Schultern gelegt, dasaß und mein Kind betrachtete, mein Krümelchen, das Kostbarste und Einzige, was mir von meiner Frau noch geblieben war. Und Trauer erfüllte mein Herz.
Vor einiger Zeit, ehrwürdige Patres, habe ich versucht, Zyanya zu beschreiben, indem ich sie der wohltätigen und alles gebenden Schwarzgrünen Agave verglich, doch eines habe ich vergessen zu erwähnen. Einmal in ihrem Leben, nur ein einziges Mal, treibt sie einen einzelnen Schaft, welcher eine Fülle von süßduftenden gelben Blüten trägt; dann stirbt die Schwarzgrüne Agave.
Schwer habe ich in dieser Nacht um den Trost gerungen, welcher von den salbungsvollen Beteuerungen der Priester ausgeht: daß die Toten weder aufbegehren noch trauern. Der Tod, behaupteten unsere Priester, ist nichts weiter als das Erwachen aus dem Traum, gelebt zu haben. Vielleicht stimmt das. Eure christlichen Priester behaupten Ähnliches. Aber das war nur ein geringer Trost für mich, der ich zurückbleiben mußte in dem Traum, lebendig, allein, schmerzlich verlassen. Und so verbrachte ich die Nacht damit, mich Zyanyas zu erinnern und der allzu kurzen Zeit, die wir zusammen hatten verbringen dürfen, ehe ihr Traum geendet hatte.
Ich erinnere mich heute noch …
Einst, auf unserer Reise nach Michihuácan, hatte sie eine Blume entdeckt, die aus einem Spalt in einer Felswand etwas über uns hervorwuchs, und die sie nicht kannte, die sie aber bewunderte, und sie sagte, sie wünschte, sie hätte eine solche Pflanze daheim; es wäre mir ein leichtes gewesen, hinaufzuklettern und sie ihr zu holen …
Und einmal – ach, es war keine besondere Gelegenheit – erwachte sie, verliebt in den Tag, was nichts Ungewöhnliches war für Zyanya – und da machte sie ein kleines Gedicht, und dann ersann sie eine Melodie dafür und ging leise singend umher, um sie sich einzuprägen, und sie bat mich, ihr eine jener kleinen Flöten aus Ton zu kaufen, die wir Gluckerflöten nannten, um ihr Lied darauf zu spielen. Ich sagte, das würde ich tun, sobald ich das nächstemal einen Bekannten von mir, einen Musikanten, träfe und ihn bewegen könne, mir eine zu machen. Aber ich vergaß es, und sie – als sie sah, daß ich den Kopf mit anderen Dingen voll hatte – erinnerte mich nie daran.
Und einmal …
Ayya, die vielen Male …
Oh, ich weiß, sie hat niemals an meiner Liebe zu ihr gezweifelt. Aber warum habe ich jemals die geringste Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen, sie ihr zu zeigen? Ich weiß, sie verzieh mir meine gedankenlosen kleinen Fehler und belanglosen Versäumnisse; wahrscheinlich hat sie sie gleich hinterher vergessen, was ich nie fertiggebracht habe. All die vielen Jahre seither ist mir immer wieder diese oder jene Gelegenheit eingefallen, da ich dieses oder jenes hätte tun können, es jedoch versäumte, und wozu ich jetzt nie wieder eine Gelegenheit haben werde. Heute ist es so, daß die Dinge, an die ich mich am liebsten erinnern möchte, sich mir entziehen. Wenn ich mich der Worte dieses kleinen Liedes entsinnen könnte, das sie machte, als sie besonders glücklich war, oder zumindest der Melodie, könnte ich sie manchmal vor mich hinsummen. Oder wenn ich wüßte, was sie mir nachrief, als der Wind ihr die Worte vom Mund riß, damals,
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