Der Azteke
schlüpfrig. Aber so wie es aussah – es sah aus, als ob die Herrin mit dem Mann sprach und ihn fahrenließ, aber dann … aber dann riß das Wasser sie mit. Beide, denn er klammerte sich an ihr fest. Ich konnte nur ein sich umeinanderdrehendes Bündel sehen, als sie fortgeschwemmt wurden, bis ich sie nicht mehr sah. Aber da bin ich hinausgerannt und habe mich in die Fluten gestürzt und bin hinter ihnen her.«
»Stern Sänger wäre fast ertrunken, Herr«, sagte Türkis schniefend. »Er hat getan, was in seinen Kräften stand, wirklich.«
»Es war keine Spur von ihnen zu sehen«, fuhr er kläglich weiter fort. »Bis ans Ende der Straße, wo ein paar alte Lehmziegelhäuser eingestürzt waren – vielleicht haben sie sie unter sich begraben. Aber es wurde zu dunkel, um überhaupt etwas zu sehen, und ein Balken, der heruntergeschwemmt kam, prallte mir gegen den Kopf, daß mir fast die Sinne geschwunden wären. Ich klammerte mich am Türpfosten eines Hauses fest, das noch stand, und blieb die ganze Nacht über dort.«
»Erst als das Wasser anfing, sich zu senken, ist er nach Hause gekommen – heute morgen«, sagte Türkis. »Und dann sind wir beide hinausgegangen und haben gesucht.«
»Und … nichts?« krächzte ich.
»Wir haben nur den Mann gefunden«, sagte Stern Sänger. »Halb vergraben von herabgestürzten Trümmern, wie ich vermutet hatte.«
Türkis sagte: »Cocóton haben wir bis jetzt noch nichts von ihrer Mutter gesagt. Will der Herr jetzt hinaufgehen?«
»Ja, soll ich ihr sagen, was ich selbst noch nicht glauben kann?« stöhnte ich. Ich raffte mich mit letzter Kraft auf, straffte meinen erschlafften Körper und sagte: »Nein, das werde ich nicht tun. Komm, Stern Sänger. Laß uns noch mal suchen.«
Hinter meinem Haus senkte sich die Straße sanft zur Kanalbrücke hin, und die Häuser dort unten hatten selbstverständlich mehr unter der Wucht der Wasserflut gelitten als die weiter oben stehenden. Außerdem waren es die am wenigsten eindrucksvollen Häuser der Straße, nur Lehm- und Holzbauten. Wie Stern Sänger gesagt hatte, waren es jetzt keine Häuser mehr; es waren Haufen halb zerbrochener, halb vom Wasser aufgelöster Ziegel aus Lehm und Stroh, zerspellten Brettern und einem Durcheinander von Mobiliar. Mein Diener deutete auf ein zerknülltes Tuch, das darunter lag, und sagte:
»Da liegt der Unglückliche. Kein großer Verlust. Er hat davon gelebt, sich den Männern auf den Abfallbooten zu verkaufen. Diejenigen, die sich keine Frau leisten konnten, bedienten sich seiner, und er verlangte nur eine einzige Kakaobohne.«
Er lag mit dem Gesicht zum Boden, ein Haufen zerfetzter Lumpen und völlig von Schlamm verklebten langen grauen Haaren. Mit dem Fuß drehte ich ihn um und sah ihn mir zum letzten Mal an. Mit leeren Augenhöhlen und klaffend aufgerissenem Mund starrte Chimáli mich an.
Nicht sogleich, aber hinterher, später, als ich imstande war zu überlegen, dachte ich über Stern Sängers Worte nach: daß der Mann in der letzten Zeit auf den Booten gewesen war, welche den Abfall unseres Viertels fortgeschafft hatten. Ich überlegte: hatte Chimáli erst in letzter Zeit entdeckt, wo ich lebte? Hatte er uns heimsuchen wollen, immer in der Hoffnung und blind nach einer Gelegenheit suchend, mir und den Meinen ein letztes Mal etwas anzutun? Hatte die Überschwemmung ihm die Möglichkeit gegeben, mir den schlimmsten Schlag zu versetzen und sich dann für immer meiner Rache zu entziehen? Oder war das ganze eine Machenschaft der Götter gewesen? Es sieht in der Tat so aus, als ob es sie belustige, Dinge zusammentreffen zu lassen, die sonst unwahrscheinlich, ja unerklärlich scheinen und die man nicht glauben könnte.
Ich sollte es nie erfahren.
In diesem Augenblick wußte ich nur, daß ich meine Frau verloren hatte, daß ich mich mit dieser Tatsache nicht abfinden konnte und daß ich weitersuchen mußte. Ich sagte zu Stern Sänger: »Wenn dieser Unselige hier ist, dann muß Zyanya es auch sein. Wir werden jeden von diesen Millionen Ziegeln umkehren. Ich fange schon an, und du gehst hin und holst andere, uns dabei zu helfen. Geh!«
Stern Sänger machte, daß er fortkam, und ich beugte den Rücken, um einen hölzernen Balken hochzuheben und beiseitezuschieben, doch konnte ich nicht wieder hochkommen, rutschte nach vorn und fiel auf das Gesicht.
Es war später Nachmittag, als ich auf meinem eigenen Lager wieder zu mir kam und die beiden Diener sich besorgt über mich beugten. Das erste, was ich
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