Der Azteke
eine hübsche Frau, deren Gesicht der Eigentümer nicht verunstalten möchte). Abgesehen davon, daß dieses Zeichen hilft, Eigentum und entlaufene Sklaven zu identifizieren, dient diese Brandmarkung letztlich auch dazu, Sklaven zu kennzeichnen, welche hoffnungslos aufrührerisch und nicht zur Arbeit einzusetzen sind. Viele von solchen unverbesserlichen Aufsässigen, welche durch die Hände vieler Eigentümer gegangen sind, tragen nunmehr etliche sich zum Teil überschneidende Brandzeichen, gleichsam als wäre ihre Gesichtshaut ein Palimpsest.
In Eurer Verständigen Majestät letztem Schreiben findet sich ein rührender Beweis für Euer Majestät Herzensgüte; wenn Ihr hinsichtlich des Todes der Frau unseres Azteken feststellt: »Wiewohl von niederer Rasse, scheint er ein Mann, welcher menschlicher Gefühle fähig ist, imstande. Glück und Schmerz genauso stark zu empfinden wie wir.« Euer Mitgefühl ist verständlich, denn Euer Majestät beständige Liebe zu Eurer jungen Königin Isabella und Eurem kleinen Sohn Felipe zeugen von Eurer zärtlichen Leidenschaft, welche alle Welt bemerkt und bewundert.
Gleichwohl möchten wir Euer Majestät mit aller Achtung anheimstellen, nicht allzuviel Mitleid für Menschen aufzubringen, so Euer Majestät nicht so gut kennen wie wir, ganz besonders aber nicht einem Menschen, der immer und immer wieder beweist, daß er selbiges nicht verdient. Möglich, daß besagter Indianer früher bisweilen menschlicher Gefühle und menschlicher Gedanken fähig war, welche auch einem weißen Mann wohl anstünden. Euer Majestät werden jedoch bemerkt haben, daß selbiger, wenn er sich jetzt auch zum Christentum bekennt, viel davon schwafelt, seine verstorbene Ehefrau wandere immer noch auf Erden umher – und warum? Weil sie bei ihrem Tode nicht im Besitz eines bestimmten grünen Kiesels war! Des weiteren wird Euer Majestät nicht entgangen sein, daß der Azteke sich durch besagten Verlust nicht lange hat niederdrücken lassen. Auf den hier folgenden Seiten seines Berichts rast er wieder wie ein Koloß und verhält sich auf gewohnte Weise.
Sire, vor nicht langer Zeit haben wir einen Priester, weiser denn wir selbst sagen hören: kein Mensch soll rückhaltlos gelobt werden, solange er noch lebt und auf den unvorhersagbaren Wässern des Lebens segelt. Weder er noch andere können wissen, ob er alle Stürme überlebt, so seiner harren, allen tückischen Riffen und dem verlockenden Gesang der Sirenen entgeht, um irgendwann einmal in einen sicheren Hafen einzulaufen. Nur der verdient zurecht gepriesen zu werden, den Gott geleitet hat, daß er seine Tage im Hafen der Erlösung endet; denn nur am Ende wird das Gloria gesungen.
Möge der weise lenkende Herrgott Euch weiterhin mit seinem Lächeln beglücken und Seine Gunst schenken Euer Kaiserlichen Majestät, deren königliche Füße küßt Euer Kaplan und Diener
( ECCE SIGNUM ) ZUMÁRRAGA
Octava Pars
Mein persönlicher Verlust überschattete für mich selbstverständlich alles andere in der Welt; gleichwohl konnte ich nicht die Augen verschließen vor der Tatsache, daß dem ganzen Volk der Mexíca Schlimmeres widerfahren war als nur die Zerstörung seiner Hauptstadt. Daß Ahuítzotl sich überstürzt und gar nicht seiner Art entsprechend an Nezahualpíli wandte, ihm zu helfen, die Flut zu bannen, war das letzte, was er als Uey-Tlatoáni tat. Er befand sich im Inneren seines Palastes, als dieser zusammenstürzte, und wenn er dabei auch nicht ums Leben kam, hätte er sich vermutlich gewünscht, daß dies geschehen wäre. Er wurde nämlich von einem herabstürzenden Balken am Kopf getroffen und war aus diesem Grunde fürderhin – zumindest hat man mir das erzählt; lebend gesehen habe ich ihn nie wieder – genauso ein hirnloses Wesen wie der Holzbalken, der ihn traf. Er wanderte ziellos umher, redete unverständliches Zeug mit sich selbst, und ein Diener folgte dem einst großen Staatsmann und Krieger überallhin und wechselte ihm das Schamtuch, welches er sich immer wieder beschmutzte.
Aus Tradition verbot es sich, Ahuítzotl den Titel eines Verehrten Sprechers zu nehmen, solange er lebte, auch dann nicht, als er nur noch kindisch vor sich hinplapperte und nicht verehrungswürdiger war als eine wandelnde Pflanze. Aus diesem Grunde trat, sobald es möglich war, der Staatsrat zusammen, um einen Regenten zu wählen, das Volk zu führen, solange Ahuítzotl dazu außerstande war. Da Ahuítzotl in den schreckenerregenden Augenblicken der Gefahr auf dem
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