Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
Vom Netzwerk:
stieg das Wasser in diesen Kanälen, floß über die Ränder und stieg auf der Insel, und ganz Tenochtítlan wurde zu einem Gewirr von Gebäuden, die nicht vom Erdboden aufragten, sondern sich aus dem Wasser einer endlosen Wasserfläche erhoben.
    Gleich nach seiner Rückkehr von der fehlgeschlagenen Einweihungszeremonie hatte Ahuítzotl einen Ruderer nach Texcóco geschickt, und Nezahualpíli war auf diesen Hilferuf augenblicklich herbeigeeilt. Er hatte in aller Eile einen Trupp Bauarbeiter zu der nicht zum Stillstand zu bringenden Quelle von Coyohuácan geschickt, und diese Leute hatten, wie erhofft, eine Möglichkeit gefunden, den Wasserfluß abzuschneiden. Ich habe die Stelle nie gesehen, aber ich weiß, daß sie auf einem Hügel liegt, und ich vermute, daß Nezahualpíli befahl, ein System von Gräben auszuheben, durch welches ein Teil des überschüssigen Wassers auf die andere Seite des Hügels abgeleitet werden konnte, wo es sich, ohne Schaden anzurichten, in freies Land ergießen konnte. Nachdem das geschafft, der Quell gezähmt war und die Flut sich verlaufen hatte, konnte der Aquädukt ausgebessert und weiter benutzt werden. Nezahualpíli entwickelte Schleusentore, mit deren Hilfe je nach dem Bedarf der Stadt wenig oder viel Quellwasser hindurchgelassen wurde. So kommt es, daß wir bis auf den heutigen Tag von diesem süßen Wasser trinken.
    Freilich schaffte Nezahualpíli seine Rettungsaktion nicht über Nacht. Während er und seine Arbeiter schufteten, stand diese zweite Flut vier volle Tage lang auf ihrem Höhepunkt. Wenn auch nur wenige oder gar keine Menschen darin umkamen, wurden mindestens zwei Drittel der Stadt zerstört, und der Wiederaufbau von Tenochtítlan war erst nach vier Jahren abgeschlossen. Die Flut würde nicht soviel Schaden angerichtet haben, hätte das Wasser nur unsere Straßen überfüllt und dort ruhig gestanden. Statt dessen wogte es hin und her, einerseits in eine Richtung bewegt von den Kräften, welche das Wasser zwangen, einen gleichmäßigen Pegel zu suchen, auf der anderen von dem bösartigen Ostwind. Die meisten Häuser ruhten auf Pfeilern oder irgendeiner anderen Grundmauer über dem Straßenniveau, doch das hatte man nur gemacht, um sie vor der Bodenfeuchtigkeit zu schützen. Diese Fundamente waren nie dazu gedacht gewesen, der Gewalt von Strömungen zu widerstehen, denen sie dann ausgesetzt wurden –, und die meisten von ihnen hielten nicht stand. Lehmziegelhäuser lösten sich im Wasser einfach auf, Steinhäuser, ob kleine oder große, stürzten zusammen, wenn ihr Stützwerk weggefressen wurde, und brachen in die Blöcke auseinander, aus denen sie ursprünglich gefügt worden waren.
    Mein eigenes Haus blieb unbeschädigt, vermutlich aber nur deshalb, weil es neu und deshalb stärker gebaut war als die anderen. Die Pyramiden und Tempel im Herzen Der Einen Welt blieben gleichfalls stehen; nur das vergleichsweise zerbrechliche Schädelgerüst brach zusammen. Doch außerhalb des Großen Platzes stürzte ein ganzer Palast ein – der neueste und prächtigste von allen –, der des Uey-Tlatoáni Ahuítzotl. Ich habe berichtet, daß er einen der Hauptkanäle der Stadt überspannte, damit die vorüberfahrenden Menschen das Innere bewundern könnten. Als dieser Kanal wie alle anderen Kanäle auch über die Ufer trat, drang das Wasser erst in das Erdgeschoß des Palastes ein, drückte dann die tiefer gelegenen Mauern nach außen, woraufhin das gesamte Gebäude zusammenkrachte.
    Von alledem wußte ich nichts. Ich hatte ja noch nicht einmal eine Ahnung, zu den vom Glück Begünstigten zu gehören, welche immer noch ein eigenes Haus hatten, bis das Wasser endlich abfloß. Bei dieser zweiten und weit verheerenderen Flut stieg das Wasser jedenfalls weniger rasch, so daß Zeit blieb, die Stadt zu räumen. Bis auf Ahuítzotl und seine regierenden Edelleute, die Palastwache, einige andere Kriegerverbände und eine Anzahl von Priestern, die eigensinnig fortfuhren, um göttliches Einsehen zu flehen, floh jeder sonst in Tenochtítlan über die nördliche Dammstraße und suchte in den auf dem Festland gelegenen Städten Tepeyáca und Atzacoálco Zuflucht; zu diesen gehörte auch ich, meine beiden Diener und das, was mir von meiner Familie geblieben war.
    Doch um zu diesem früheren Tag zurückzukehren, jenem Morgen, an dem ich mich in meinem vollständig mit Wasser vollgesogenen Adlerritter-Kampfanzug nach Hause schleppte …
    Als ich näherkam, wurde mir deutlich, daß das

Weitere Kostenlose Bücher