Der Azteke
als ich sie das letztemal sah …
Als wir Flüchtlinge endlich wieder auf die Insel zurückkehren konnten, war so viel von der Stadt zerstört, daß die Trümmer, welche zuvor auf der Straße gelegen hatten, nicht mehr von denen zu unterscheiden waren, die hinterher darauf gefallen waren. Arbeiter und Sklaven waren bereits dabei, den Schutt beiseite zu räumen und zu retten, was von den Kalksteinblöcken nicht zerbrochen und noch zu gebrauchen war. Was übrig blieb, wurde eingeebnet, um die neuen Häuser darauf zu bauen. So wurde Zyanyas Leichnam nie gefunden, keine Spur von ihr, nicht einmal einer ihrer Ringe oder Sandalen. Sie verschwand so vollständig und unwiederbringlich wie das kleine Lied, das sie einst geschrieben. Gleichwohl, meine Herren Skribenten, weiß ich, daß sie immer noch irgendwo hier ist – obwohl nacheinander zwei neue Städte über ihrem unentdeckten Grab in die Höhe gewachsen sind. Ich weiß es, denn sie konnte ja ihr Stück Jade nicht mitnehmen, welches ihr den Weg in die Gegenwelt gesichert hätte.
Viele Male bin ich spät nachts durch diese Straßen gewandert und habe leise ihren Namen gerufen. Das habe ich in Tenochtítlan getan und das tue ich jetzt noch in dieser Stadt Mexíco; ein alter Mann schläft nachts nur wenig. Und ich habe viele Erscheinungen gesehen, doch keine darunter, die ihr geglichen hätte.
Ich bin nur unglücklichen und boshaften Geistern begegnet, und keinen einzigen davon habe ich mit Zyanya verwechseln können, die ihr Leben lang glücklich war und starb, als sie etwas Gutes tun wollte. Ich bin so manch einem toten Krieger der Mexíca begegnet und habe ihn erkannt; die ganze Stadt wimmelte von diesen jammervollen, trüben Gespenstern. Ich habe die Weinende Frau gesehen; sie ist wie ein treibender Nebelfetzen in Gestalt einer Frau, und ich habe ihren trauervollen Klagelaut vernommen. Aber sie hat mich nicht geschreckt; sie tat mir leid, denn auch ich weiß, was es bedeutet, einen geliebten Menschen zu verlieren; und als sie mich mit ihrem Jammergeheul nicht schrecken konnte, entfloh sie meinen Trostworten. Einmal wollte es mir so vorkommen, als hätte ich zwei wandernde Götter getroffen und mit ihnen gesprochen, dem Gott Nacht Wind und Dem Altesten Der Alten Götter. Zumindest haben sie behauptet, es zu sein, doch sie taten mir nichts Böses an und schienen zu meinen, ich hätte genug Kummer gehabt im Leben.
Manchmal habe ich auf vollkommen dunkel und verlassen daliegenden Straßen etwas gehört, was Zyanyas fröhliches Lachen hätte sein können. Vielleicht sind das Einbildungen, die Phantasien eines sehr alten Mannes, doch ist dies Lachen jedesmal von einem Licht in der Dunkelheit begleitet gewesen, ähnlich dem hellen Blitz in ihrem schwarzen Haar. Möglich, daß mir mein schwaches Sehvermögen da einen Streich spielt, denn bis ich es schaffte, meinen Topas vors Auge zu halten, war es jedesmal verschwunden. Doch ich weiß, sie ist hier, irgendwo, und es bedarf für mich dazu keines Beweises, so sehr ich mich auch danach sehne.
Ich habe lange und tief darüber nachgedacht und jetzt frage ich mich. Stoße ich nur auf die traurigen und menschenfeindlichen Bewohner der Nacht weil ich selbst ihnen so sehr ähnele? Ist es möglich, daß Menschen besseren Wesens und froheren Herzens bereiter sind, lieblichere Trugbilder zu schauen? Ich bitte euch, ehrwürdige Patres, falls einer von euch Zyanya irgendwann einmal nachts treffen sollte – würdet ihr es mir dann sagen? Ihr werdet sie auf Anhieb erkennen, und ein Geist von solcher Schönheit wird euch keinen Schrecken einjagen. Sie wird aussehen wie ein Mädchen von zwanzig Jahren, wie sie damals ausgesehen hat; denn der Tod hat ihr zumindest die Krankheiten und die Runzeln des Alters erspart. Und ihr werdet dieses Lachen erkennen, denn ihr werdet gar nicht anders können, als es zu erwidern. Sollte sie sprechen … etwas sagen …
Aber nein, ihr würdet ihre Sprache nicht verstehen. Habt nur die Güte, mir zu sagen, wo ihr sie gesehen habt. Denn sie wandelt immer noch durch diese Straßen. Ich weiß es. Sie ist hier und wird immer hier sein.
Immer.
IHS
S.C.C.M.
SEINER ALLERKATHOLISCHSTEN MAJESTÄT, KAISER KARL V., UNSEREM ALLERDURCHLAUCHTIGSTEN KÖNIG UND HERRN:
Königliche und Erhabenste Majestät, Unser Allerdurchlauchtigster Fürst: aus der Stadt Mexíco, Hauptstadt Neuspaniens, am Tage des Heiligen Paphnutius, Märtyrers, im jähre des Herrn eintausendfünfhundertunddreißig, entbiete ich Euch meinen
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