Der Azteke
Ixacuálco-Viertel zu jenen Stadtteilen gehörte, welche am schlimmsten unter dem ersten, völlig überraschenden Wasseransturm gelitten hatte. Ich konnte an den Hochwasserlinien in Höhe meines Kopfes an den Häusern erkennen, wie hoch das Wasser gestanden hatte, und hier und da hatte sich ein Lehmziegelbau schief gelegt. Der gestampfte Lehm meiner Straße war schlüpfrig; eine Schlammschicht bedeckte sie; hier und da standen Wasserlachen, lag Gerumpel und selbst wertvolleres Gerät umher – Dinge, die Menschen offensichtlich auf der Flucht hatten fallen lassen. In diesem Augenblick waren keine anderen Menschen zu sehen – ohne Zweifel saßen sie ängstlich in ihren Häusern und warteten ab, ob die Flut noch einmal zurückkommen würde –, doch die ungewohnte Leere der Straße erfüllte mich mit Unruhe. Ich war zu zerschlagen, um laufen zu können, ging jedoch, so rasch mich meine Füße trugen, und mein Herz machte einen Satz, als ich mein Haus stehen sah, völlig unbeschädigt, nur mit einer Schlammschicht auf den Treppenstufen, welche hinaufführten zur Haustür.
Türkis riß die Tür auf und rief: »Ayyo, es ist unser Herr! Dank sei Chalchihuítlicué, daß sie Euch verschont hat!«
Ausgepumpt, doch aus vollem Herzen, sagte ich, ich wünschte diese besondere Göttin ins Mictlan.
»Sprecht nicht so!« flehte Türkis, und Tränen rannen ihr über das verrunzelte Gesicht. »Wir hatten schon Angst, auch unseren Herrn verloren zu haben!«
»Auch?« Es entrang sich mir nur dieses eine Wort, und ein unsichtbarer Reif legte sich mir beklemmend um die Brust. Die ältere Sklavin brach in Schluchzen aus und war nicht imstande zu antworten. Ich ließ alles fallen, was ich in der Hand hatte, und packte sie bei den Schultern. »Das Kind?« wollte ich wissen. Sie schüttelte den Kopf, doch ob in Verneinung meiner Frage oder nur aus Kummer, konnte ich nicht sagen. Ich schüttelte sie heftig noch einmal und sagte: »Sprich, Weib!«
»Es war unsere Herrin, Zyanya«, ließ sich eine andere Stimme hinter ihr vernehmen, die des Dieners Stern Sänger, welcher händeringend an die Tür kam. »Ich habe alles gesehen. Ich habe versucht, sie zurückzuhalten.«
Ich ließ Türkis nicht los, sonst wäre ich zu Boden gestürzt. Ich konnte nur noch sagen: »Sprich, Stern Sänger!«
»Erfahret es also, Herr! Es war gestern, als es dunkelte, um die Zeit, da für gewöhnlich die Leute kommen, die Straßenfackeln zu entzünden. Aber selbstverständlich kamen sie nicht; die ganze Straße war ja eine kochende Stromschnelle. Nur ein Mann kam – wurde vorübergetrieben und prallte gegen Fackelpfähle und Haustreppen. Er versuchte immer wieder, irgendwo Halt zu finden, sich an etwas festzuklammern, um nicht weitergeschwemmt zu werden. Doch selbst, als er noch gar nicht nahe herangekommen war, konnte ich erkennen, daß er bereits verkrüppelt war und nicht …«
So barsch, wie ich es in meinem Schmerz und meiner Schwäche fertigbrachte, sagte ich: »Was hat das alles mit meiner Frau zu tun? Wo ist sie?«
»Hier am Vorderfenster hat sie gestanden«, sagte er, – zeigte mit dem Finger auf die Stelle und ging mit einer Langsamkeit hinüber, die mich rasend machte. »Den ganzen Tag hat sie hier gestanden, sich Sorgen gemacht und auf Eure Rückkehr gewartet, Herr. Ich stand bei ihr, als der Mann die Straße heruntergeschwemmt kam und dabei mit den Armen um sich schlug, und sie rief mir zu, ich müsse ihn retten. Ich war selbstverständlich nicht besonders scharf darauf, mich in das tosende Wasser hinauszuwagen, und sagte ihr: ›Herrin, ich kann ihn von hier aus erkennen. Es ist nur ein alter Krüppel, der manchmal auf den Abfallbooten gearbeitet hat, die für unser Viertel hier zuständig sind. Es lohnt sich nicht um ihn.‹«
Stern Sänger hielt inne, schluckte und sagte dann heiser: »Ich kann mich nicht beschweren, wenn mein Herr mich prügelt oder verkauft oder totschlägt, denn ich hätte hinausgehen und den Mann retten müssen. Denn meine Herrin hat mir einen zornflammenden Blick zugeworfen und ist dann selbst hinausgegangen. Zur Tür hinaus und die Treppe hinunter, während ich von diesem Fenster aus hinterhergesehen habe, wie sie sich in die Flut hinauslehnte und ihn zu fassen bekam.«
Abermals hielt er inne und schluckte, woraufhin ich ihn anherrschte: »Ja und? Wenn sie beide in Sicherheit waren …?«
Stern Sänger schüttelte den Kopf. »Das ist es, was ich nicht begreife. Gewiß, Herr, die Treppenstufen waren naß und
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