Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
Vom Netzwerk:
Míctlantécutli und der Mictlanciuatl, würden dieser Herr und die Dame ihn lächelnd willkommen heißen und ihn in jene Gegenwelt weisen, die er verdiente, wo er in Üppigkeit und Glückseligkeit für immer weiterlebte.
    Es war später Nachmittag, als die Priester mit ihren Ermahnungen und Abschiedsgebeten fertig waren, Ahuítzotl zusammen mit dem rotgelben Hündchen in sein Grab gesetzt, die Erde hineingeschaufelt und festgeklopft und von den bereitstehenden Steinmetzen die schlichte Steinabdeckung darübergelegt wurde. Es war bereits dunkel, als die Flotte der Acáltin wieder in Tenochtítlan festmachte, wo unser Zug sich formierte wie zuvor, und zurückmarschierte zum Herzen Der Einen Welt. Der Große Platz hatte sich mittlerweile geleert. Von einfachen Bürgern der Stadt war niemand mehr zu sehen, doch wir mußten, unserem Rang entsprechend, Aufstellung nehmen, während die Priester von der fackelerhellten Spitze der Großen Pyramide herunter noch mehr Gebete sprachen, rings auf dem Platz in besonderen Urnen besonderen Weihrauch abbrannten und den in Lumpen gekleideten, barfüßigen Motecuzóma feierlich in den Tempel des Tezcatlipóca, Glühender Spiegel, geleiteten.
    Ich sollte noch erwähnen, daß der Wahl dieses bestimmten Gottes keinerlei besondere Bedeutung zukam. Wenn Tezcatlipóca in Texcóco und in einigen anderen Städten als allerhöchste Gottheit verehrt wurde, so wurde er in Tenochtítlan nicht ganz so hoch in Ehren gehalten. Es war nur so, daß sein Tempel der einzige auf dem Platz war, der einen mauerumwehrten Hof aufwies. Sobald Motecuzóma eingetreten war, schlossen die Priester die Tore hinter ihm. Vier Nächte und vier Tage hindurch mußte der neugewählte Verehrte Sprecher dort allein zubringen, fasten, dürsten und sich versenken, sich von der Sonne verbrennen oder vom Regen durchweichen lassen, wie die Wettergötter es wollten, auf dem harten Steinboden des Hofes schlafen und sich nur in ganz bestimmten Abständen ins Tempelinnere selbst hineinbegeben, um dort zu beten – zu allen Göttern, einem nach dem anderen – um gütige Lenkung in dem Amte, welches er binnen kurzem antreten sollte.
    Wir anderen machten uns müde und abgespannt nach unseren Palästen, Herbergen, eigenen Häusern oder Kriegerhäusern auf, dankbar, daß wir uns nicht sogleich wieder feierlich kleiden und eine weitere, einen ganzen Tag andauernde Feier über uns ergehen lassen mußten, bis Motecuzóma aus seiner Zuflucht wieder hervorkam.
    Ich schleppte die schweren, adlerklauenbesetzten Sandalen die Stufen zur Haustür hinauf, und selbst wenn ich nicht so abgespannt gewesen wäre, hätte es mich doch nicht wenig erstaunt, daß nicht Türkis, sondern Kitzlig mir die Tür aufmachte. Eine einsame Ölfunzel brannte auf der Diele.
    Ich sagte: »Es ist sehr spät. Cocóton ist doch bestimmt schon längst schlafen gelegt worden. Warum bist du mit Cozcatl nicht nach Hause gegangen?«
    »Cozcatl ist in Schulangelegenheiten nach Texcóco hinüber. Kaum, daß nach der Bestattung wieder Acális zu haben waren, hat er eines gemietet, ihn hinzubringen. Ich war daher froh, ein bißchen freie Zeit für meine … für deine Tochter zu haben. Türkis bereitet dir schon Bad und Schwitzbad.«
    »Gut«, sagte ich. »Nun, dann will ich Stern Sänger rufen, dich mit einer Lampe heimzubegleiten. Und ich werde mich beeilen, mich gleichfalls schlafen zu legen, damit die Diener ihre Decken ausrollen können.«
    »Warte«, sagte sie nervös. »Ich möchte nicht heimgehen.« Ihr für gewöhnlich leicht kupferfarbenes Gesicht war tief errötet, gleichsam als leuchtete die Öllampe nicht hinter ihr, sondern in ihr. »Cozcatl kann frühestens morgen abend wieder zu Hause sein. Heute nacht möchte ich, daß du mit mir schläfst, Mixtli.«
    »Was soll das heißen?« sagte ich und tat so, als begriffe ich nicht. »Stimmt zu Hause etwas nicht, Kitzlig?«
    »Ja, und du weißt auch, was.« Sie erglühte womöglich noch mehr. »Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt und seit über fünf Jahren verheiratet, und doch weiß ich immer noch nicht, was ein Mann ist.«
    Ich erklärte: »Cozcatl ist genau so sehr ein Mann wie jeder andere.«
    »Bitte, Mixtli, tu nicht so, als ob du schwer von Begriff wärest«, flehte sie mich an. »Du weißt sehr wohl, was ich noch nicht kennengelernt habe.«
    Ich sagte: »Falls es dir hilft, das Gefühl zu ertragen, etwas versäumt zu haben – ich habe Grund zu der Annahme, daß unser neuer Verehrter Sprecher in dieser Beziehung

Weitere Kostenlose Bücher