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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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schwitzend da, daß es uns unter unseren Zeremonialgewändern juckte, während die Priester ihre endlosen Anweisungen herunterleierten, die Ahuítzotl befolgen mußte, um durch jenen Schreckensbereich hindurchzukommen, welcher zwischen unserer Welt und der Gegenwelt lag.
    In den letzten Jahren habe ich Seine Exzellenz, den Herrn Bischof, und eine ganze Menge anderer christlicher Väter bei ihren Predigten gegen unsere barbarischen Bestattungsriten bei hochgestellten Persönlichkeiten wettern hören – daß nämlich viele von seinen Frauen und Dienern getötet worden seien, auf daß sie ihm in der anderen Welt gebührend aufwarten könnten. Diese Kritik verwirrt mich. Ich meine zwar, daß man eine solche Praxis zurecht verdammen würde, doch frage ich mich, wo ihr christlichen Väter dieser Sitte begegnet seid. Ich dachte, ich kennte mich in etwa unter allen Völkern und Stämmen und ihren verschiedenen Sitten und Gebräuchen in der gesamten Einen Welt aus, habe aber noch nie gehört, daß es zu einer solchen Massenbestattung gekommen wäre.
    Ahuítzotl war der ranghöchste Adlige, dessen Bestattung ich jemals beigewohnt habe, doch wenn irgendeine andere Persönlichkeit ihr Gefolge im Tode mit sich genommen hätte, wäre das allgemein bekannt gewesen. Und ich habe die Begräbnisstätten anderer Länder gesehen: alte, freigelegte Gräber in den verlassenen Städten der Maya, die uralten Krypten der Wolkenmenschen in Lyobáan, doch in keinem einzigen habe ich jemals etwas anderes gesehen als die Überreste dessen, welcher rechtens hier bestattet worden war. Selbstverständlich hatte jeder von ihnen die Zeichen seines Ranges und Ruhms mitgenommen wie etwa edelsteinbesetzte Insignien und dergleichen. Aber tote Frauen und Sklaven? Nein. So etwas wäre schlimmer als barbarisch gewesen, nämlich töricht. Wenn auch ein sterbender großer Herr sich nach seiner Familie und seiner Dienerschaft gesehnt haben mochte, er hätte so etwas nie angeordnet, wußte er doch wie jedermann sonst, daß Menschen geringeren Stands in eine völlig andere Gegenwelt eingingen.
    Das einzige Geschöpf, das an Ahuítzotls Grab an diesem Tag starb, war der kleine Hund, den Prinz Cuautémoc mitgebracht hatte, und diesen zu töten, gab es einen verständlichen Grund. Das erste Hindernis in der Gegenwelt – so wurde uns jedenfalls erzählt – war ein schwarzer Fluß, welcher durch schwarzes Land floß, und diesen erreichte ein Toter immer ausgerechnet im dunkelsten Augenblick der schwarzen Nacht. Diesen Fluß konnte er nur überqueren, indem er sich an einem Hund festhielt, welcher das gegenüberliegende Ufer riechen und direkt darauf zuschwimmen konnte. Und dieser Hund mußte auch noch von einer mittleren Farbe sein. War er weiß, würde er sich dieser Aufgabe verweigern und sagen: »Herr, ich bin so sauber, weil ich schon zulange im Wasser gewesen bin. Ich will nicht noch einmal baden.« War er schwarz, würde er sich weigern, indem er sagte: »Herr, in dieser Dunkelheit könntet Ihr mich nicht sehen. Würdet Ihr mich unterwegs loslassen, wäret Ihr verloren.« Infolgedessen hatte Cuautémoc ein zirkonfarbenes Hündchen beschafft, ebenso rotgelb wie die rotgelbe Kette, an der er es führte.
    Nach dem schwarzen Fluß galt es, noch zahlreiche andere Hindernisse zu überwinden, doch die mußte Ahuítzotl allein bezwingen. Er mußte zwischen zwei riesigen Bergen hindurch, die sich in nicht vorhersehbaren Abständen einander zuneigten und sich aneinander rieben. Dann mußte er über einen anderen Berg hinweg, der aus nichts anderem bestand denn aus scharfen, ins Fleisch schneidenden Obsidianplättchen. Er mußte sich den Weg durch einen nahezu undurchdringlichen Wald aus Bannerstangen hindurchwinden, in welchem die flatternden Banner ihm die Sicht auf den Weg versperren und ins Gesicht klatschen, um ihn blind zu machen oder ihn zumindest irrezumachen. Sodann durch ein Gebiet, in welchem unablässig Regen fiel und jeder Regentropfen eine Pfeilspitze war. Und zwischen diesen Gebieten mußte er lauernden Schlangen und Jaguaren, die nur darauf warteten, sein Herz zu fressen, aus dem Wege gehen oder sie bekämpfen.
    Wenn er und falls er obsiegte, gelangte er zuletzt ins Mictlan, wo der regierende Herr und seine Dame ihn bereits erwarteten. Dort würde er den Jadestein aus dem Mund herausnehmen, mit dem er bestattet worden war – falls er nicht so feige gewesen war, zu schreien und ihn dadurch unterwegs schon zu verlieren. Überreichte er diesen Stein dem

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