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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Farbe, welche Huitzilopóchtli auszeichnete, das Blau war, war auch Ahuítzotls Gewand blau, freilich, nicht nur von Farbe und Farbstoff so gemacht. Die Maske über seinem Gesicht zeichnete seine Züge wunderbar nach in Linien aus Türkisplättchen, welche in Gold gefaßt waren, die Augen aus Obsidian und Perlmutt, die Lippen aus Blutjaspis. Seine Robe war über und über mit jener Jadesteinart benäht, die mehr zum Blau als zum Grün neigt.
    Die wir den Trauerzug bildeten, waren wir je nach Rang aufgestellt und zogen unter gedämpftem Trommelklang, welcher einen leisen Kontrapunkt zu dem Klagesang bildete, den wir sangen. Ahuítzotl auf seinem Tragstuhl bildete den Anfang; das ständige »Hoo-oo-oooo!« der Menge begleitete ihn; neben dem Tragstuhl schritt sein Nachfolger Motecuzóma einher, jedoch nicht triumphierend ausschreitend, sondern gramgebeugt und schweren Schritts, wie es dem Anlaß entsprach. Er ging barfuß und trug nichts Prächtiges, sondern nur die zerrissenen schwarzen Gewänder des Priesters, der er einst gewesen. Sein Haar hing ihm ungekämmt und zerzaust um die Stirn, er hatte sich Kalkstaub in die Augen gerieben, um sie zu röten und dazu zu bringen, unablässig Tränen zu weinen.
    Als nächste kamen die Herrscher aller anderen Völker, darunter ein paar alte Bekannte von mir: Nezahualpíli von Texcóco und Kosi Yuela von Uaxyácac und Tzimtzicha von Michihuácan anstelle seines Vaters Yquingare, der zu alt war zum Reisen. Aus demselben Grund hatte der uralte und blinde Xicoténca von Texcála seinen Sohn und Erben, Xicoténca den Jüngeren entsandt. Beide letztgenannten Völker waren, wie ihr wißt, Rivalen und Feinde von Tenochtítlan, doch der Tod eines Herrschers erlegte allen einen Waffenstillstand auf und verpflichtete sämtliche anderen Herrscher, in die öffentliche Trauer um den Verblichenen mit einzustimmen, mochten sie im Herzen auch noch so frohlocken über sein Hinscheiden. Sie konnten die Stadt unbehindert betreten und auch wieder verlassen; bei der Bestattung eines Herrschers war ein Mord, ein Attentat oder irgendein anderer Verrat undenkbar.
    Hinter den Würdenträgern, die von auswärts angereist gekommen waren, kam Ahuítzotls Familie; seine Erste Gemahlin, dann die weniger hochstehenden legitimen Gattinnen samt zugehörigen Kindern, dann die vielen Konkubinen mit ihrer auffallend viel größeren Kinderschar. Ahuítzotls ältester anerkannter Sohn Cuautémoc führte an einer goldenen Kette den kleinen Hund, welcher den Toten auf seiner Reise in die Gegenwelt begleiten sollte. Andere Kinder Ahuítzotls trugen die anderen Dinge, die ihr Vater brauchte oder vielleicht begehrte: seine verschiedenen Banner, Herrscherstab, Federkopfputz und andere Insignien seines Amtes, darunter eine Menge Schmuck; seine Kampfanzüge, Waffen und Schilde; etliche seiner anderen symbolischen Besitztümer, die zwar keinen offiziellen Charakter hatten, ihm jedoch teuer gewesen waren – darunter jenes furcht gebietende Grizzly-Bärenfell mit dem Kopf und dem aufgerissenen Rachen, das so viele Jahre hindurch seinen Thron geschmückt hatte.
    Der Familie folgten die alten Männer des Staatsrats und viele andere Weise Ratgeber des Verehrten Sprechers, Zauberer, Seher und Wahrsager. Dann kamen die ranghöchsten Edelleute seines Hofes und diejenigen Adligen, welche mit den ausländischen Abordnungen gekommen waren. Ihnen wieder folgten die Krieger aus Ahuítzotls Palastwache und alte Krieger, welche ihm gedient, längst ehe er Uey-Tlatoáni geworden war, dazu etliche seiner Lieblingsdiener und Lieblingssklaven vom Hofe sowie selbstverständlich die Angehörigen der drei Ritterorden: Adler, Jaguare und Pfeile.
    Der Trauerzug mußte den See überqueren, denn es war beschlossen worden, Ahuítzotl zu Füßen des Felsens von Chapultépec zu bestatten, unmittelbar unter der Stelle, wo sein überlebensgroßes Abbild aus dem Felsen herausgemeißelt worden war. Nahezu jedes Acáli, von den eleganten des Hofes bis hinunter zu den schlichten Kanus der Frachtbeförderer, Vogelsteller und Fischer hatte Befehl erhalten, uns, die wir im Trauerzug mitmarschierten, hinüberzubringen, und so konnten nicht viele Bürger von Tenochtítlan uns folgen. Als wir jedoch das Festland erreichten, erwartete uns dort bereits eine ähnlich große Menge aus Tlácopan und Coyohuácan und anderen Städten, dem verblichenen Herrscher die letzte Ehre zu erweisen. Wir zogen zu dem bereits ausgehobenen Grab zu Füßen des Chapultépec und standen

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