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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Tieren und lauernden Räubern erzählen. Wovon möchtest du denn, daß ich dir erzähle?«
    Sie sann ein wenig darüber nach und fragte dann mit schüchterner Stimme: »Tete, hast du eigentlich jemals irgendwelche unbeschwerten Abenteuer erlebt?«
    Darauf wußte ich nicht sogleich eine Antwort. Ich konnte mir so etwas wie ein unbeschwertes Abenteuer nicht einmal vorstellen, höchstens wenn es um Dinge ging, wie sie vielleicht Chacálins Vater erlebte – wenn er einem Kunden einen Krug mit einem haarfeinen Riß darin andrehte und nicht dabei erwischt wurde. Doch dann fiel mir etwas ein, und ich sagte:
    »Einmal habe ich ein närrisches Abenteuer erlebt. Ginge das auch?«
    Sie sagte: »Ayyo, ja. Eine närrische Geschichte würde mir gut gefallen.«
    Ich legte mich rücklings auf den Boden und zog die Knie an. Dann zeigte ich darauf und sagte: »Das ist ein Vulkan, ein feuerspeiender Berg, der Tzebóruko heißt, was soviel heißt wie Wutschnauber. Aber ich verspreche, ich werde nicht schnauben. Du setzt dich drauf, mitten auf den Krater.«
    Als sie sich auf meine Knie gehockt hatte, sprach ich die traditionellen Worte »Oc ye nechca« und erzählte ihr, wie der Ausbruch der Vulkanlava mich erwischt hatte, gerade, als ich blöde mitten auf einer Meeresbucht gesessen hätte. Ich enthielt mich im Laufe der Geschichte, das Geräusch des Feuerspeiens und Dampfblasens zu machen, doch auf dem Höhepunkt der Geschichte stieß ich plötzlich ein »Uiuióni« aus, wackelte mit den Knien und stieß damit in die Höhe. »Und o-o-ompa! Ich schoß mit dem Wasser davon!« Durch das Gerüttel rutschte Cocóton von meinen Knien herunter, und bei dem O-o-ompa landete sie auf meinem Bauch, daß mir die Luft wegblieb und sie vor Vergnügen quietschte und gluckste.
    Offenbar war ich auf eine Geschichte und auf eine Art des Geschichtenerzählens gestoßen, die einem kleinen Mädchen ganz besonders gut gefiel. Jeden Nachmittag spielten wir eine lange Zeit hindurch Vulkanausbruch. Obwohl mir noch andere Geschichten einfielen, die ihr nicht angst und bange machten, mußte ich Cocóton immer wieder erzählen, wie Tzebóruko mich einst vom Rand Der Einen Welt hinuntergestoßen hatte. Ich erzählte es ihr immer und immer wieder, und immer wieder nahm sie aktiv daran teil – saß vor Erwartung zitternd auf meinen Knien, während ich die Geschichte immer mehr ausschmückte und immer weiter in die Länge zog, um die Spannung zu erhöhen, jauchzte dann vor Freude, wenn ich sie in die Höhe hopsen ließ, kreischte vor Vergnügen, wenn sie herunterrutschte, und lachte von Herzen, wenn sie auf meinem Bauch landete und mir die Luft aus der Lunge fuhr. Wir spielten jeden Tag Vulkanausbruch, bis Cocóton alt genug war, daß Béu anfing, ihr Vorhaltungen wegen ihres »undamenhaften« Verhaltens zu machen und Cocóton selbst das Spiel »kindisch« fand. Irgendwie tat es mir leid, daß meine Tochter ihrer Kindheit entwuchs, doch war ich es selbst schon ein wenig leid geworden, daß sie mir immer wieder auf den Bauch plumpste.
    Unweigerlich kam der Tag, da Cozcatl mich wieder besuchte, mit rotgeränderten Augen und heiserer Stimme, die Hände verschränkt und verdreht, als ob sie miteinander kämpften.
    Liebevoll fragte ich ihn: »Du hast geweint, mein Freund?«
    »Dazu habe ich zweifellos Grund«, sagte er mit gebrochener Stimme. »Doch nein, habe ich nicht. Worum es geht …« Er löste die Hände voneinander und machte eine fahrige Bewegung. »Seit einiger Zeit scheinen meine Augen und meine Zunge – sich zu verdicken – sich mit einer Schicht zu überziehen.«
    »Das tut mir leid«, sagte ich. »Bist du bei einem Arzt gewesen?«
    »Nein, und ich bin auch nicht gekommen, um darüber mit dir zu reden. Mixtli, bist du es gewesen, der es gemacht hat?«
    Ich gab nicht vor, ahnungslos zu sein und sagte: »Ich weiß, was du meinst. Béu hat vor einiger Zeit so etwas angedeutet. Aber nein, tut mir leid, ich habe nichts damit zu tun.«
    Er nickte und sagte kläglich: »Ich glaube dir. Aber das macht es nur noch um so schwerer. So werde ich nie erfahren, wer es war. Selbst wenn ich sie halb tot prügelte, glaube ich nicht, daß sie es mir sagen würde. Und ich könnte Quequelmiqui einfach nicht schlagen.«
    Ich dachte einen Moment nach und sagte dann: »Ich muß es dir sagen. Sie wollte, daß ich der Vater würde.«
    Er nickte abermals, wie ein hinfälliger alter Mann. »Das hatte ich mir gedacht. Bestimmt wollte sie ein Kind, das deiner Tochter so ähnlich wäre

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