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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Sprecher bekommen sie überhaupt nichts zu sehen. Die Ecke, in welcher er sitzt, wird von einem hohen Wandschirm abgeschirmt, und so sitzt er ungesehen und unbelästigt da. Die anderen Herren wissen noch nicht einmal mit Gewißheit, ob er überhaupt da ist. Das merken sie höchstens dann, wenn Motecuzóma ein Gericht besonders mundet und er es herumschickt im Saal und jeder davon kosten muß.«
    »Dann ist er doch nicht wahnsinnig«, sagte ich. »Erinnere dich, gerüchteweise hat es immer geheißen, der Uey-Tlatoáni Tixoc sei vergiftet worden. Was du da eben erzählt hast, klingt verschroben und überspannt, könnte aber auch eine kluge Vorsichtsmaßnahme von Motecuzóma sein, um zu verhüten, daß er so endet wie sein Onkel Tixoc.«
    Längst, bevor ich Motecuzóma kennenlernte, hatte ich eine tiefe Abneigung gegen ihn gefaßt. Wenn sich an diesem Tag, als ich aus dem Palast heimkehrte, etwas Neues in mir regte, dann nur ein leises Gefühl des Mitleids. Jawohl, Mitleid. Ich fand, ein Herrscher solle andere dazu anstacheln, daß sie seine Erhabenheit überall verkündeten, es jedoch nicht selber tun; daß andere die Erde vor ihm küßten, weil er das verdiente, nicht, weil er es forderte. Für meine Begriffe hatte das ganze Protokoll und Zeremoniell und Brimborium, mit dem er sich umgab, nichts Majestätisches, sondern eher Großspuriges, wo nicht gar Armseliges. Genauso diente sein Übermaß an Schmuck nur dazu, Größe vorzuspiegeln, und das war ein Mittel, dessen ein Mann sich bediente, der voller Unbehagen und innerer Unsicherheit daran zweifelte, ob er denn überhaupt irgendwelche Größe besitze.
    Als ich nach Hause kam, stellte ich fest, daß Cozcatl zu Besuch gekommen war und mir unbedingt die letzten Neuigkeiten von seiner Schule erzählen wollte. Während ich mich meines Kampfanzugs und meiner Insignien entledigte und etwas Bequemeres anzog, rieb er sich gutgelaunt die Hände und verkündete:
    »Der Verehrte Sprecher Motecuzóma hat mich verpflichtet, die gesamte Dienerschaft und alle Sklaven des Palastes auszubilden, von den höchsten Kämmerern bis hinunter zu den Küchenmädchen.«
    Das war eine so gute Nachricht, daß ich Türkis auftrug, sie solle uns einen Krug kühles Octli bringen, damit wir sie feierten. Stern Sänger kam gesprungen, uns eine Poquietl anzuzünden.
    »Aber ich komme gerade vom Palast«, sagte ich zu Cozcatl. »Und ich habe den Eindruck, daß Motecuzómas Bedienstete schon genug geschliffen – oder zumindest zu kriecherischer Ergebenheit erniedrigt – sind, genauso wie sein Staatsrat und jeder andere, der mit seinem Hof zu tun hat.«
    »O gewiß, seine Bedienung versteht ihr Handwerk«, sagte Cozcatl. Er saugte an seinem Röhrchen und blies einen Rauchring. »Aber er möchte, daß sie so poliert und verfeinert werden, daß sie es mit Nezahualpìlis Dienerschaft in Texcóco aufnehmen können.«
    Ich sagte: »Es sieht so aus, als ob unser Verehrter Sprecher nicht nur auf die eleganten Umgangsformen der Diener des Hofes von Texcóco neidisch ist und damit wetteifert. Ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, was ihn erfüllt, ist ein ausgesprochener Haß. Motecuzóma hat mir heute gesagt, er habe vor, einen neuen Krieg gegen Texcála zu führen, was nicht weiter verwunderlich ist. Was er nicht sagte, ich jedoch anderweitig gehört habe, ist, daß er versucht hat, Nezahualpíli zu befehlen, den Angriff anzuführen, und daß das Gros des Heeres von den Acólhua gestellt werden solle. Auch habe ich gehört, Nezahualpíli habe diese Ehre sehr entschieden abgelehnt, und das freut mich – schließlich ist er nicht mehr jung. Aber es sieht mir ganz danach aus, als ob Motecuzóma gern das tun möchte, was Ahuítzotl in unseren Kriegstagen versucht hat, Cozcatl. Er möchte, daß die Acólhua ausgemerzt werden, oder Nezahualpíli gar zwingen, im Kampf zu fallen.«
    Cozcatl sagte: »Es könnte sein, daß Motecuzóma das aus demselben Grund möchte wie seinerzeit Ahuítzotl, Mixtli.«
    Ich nahm einen kräftigen Schluck Octli und sagte: »Solltest du dasselbe meinen, was auch ich meine, Cozcatl?«
    Cozcatl nickte. »Diese Kinderbraut von Nezahualpíli, deren Namen nicht mehr genannt wird. Da sie Ahuítzotls Tochter war, war sie Motecuzómas Cousine … und vielleicht war sie ihm mehr als nur eine Cousine. Was immer es bedeuten mag, jedenfalls hat Motecuzóma unmittelbar nach ihrer Hinrichtung die schwarze Robe der Priester angezogen und das Gelübde der Ehelosigkeit abgelegt.«
    Ich sagte:

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