Der Azteke
daß ihr tränenreicher Kummer genauso echt war wie mein tränenloser. Deshalb hatte ich das Erdfigürchen vergessen – bis mir ihre eigenen Worte klarmachten, warum sie es gemacht und wozu. Nicht um mich zu vernichten, sondern nur, um meinen Willen zu schwächen, um es mir unmöglich zu machen, ihren vorgegebenermaßen aus der Regung des Augenblicks geborenen, im Grunde aber von langer Hand geplanten Antrag abzulehnen. Ich ließ mir Zeit zu antworten; ich wartete, während sie ihre sorgsam ausgeklügelten Gründe vor mir ausbreitete:
»Vorhin hast du erklärt, du wärest jetzt einsamer denn je. Mir ergeht das genauso, wie du sehr wohl weißt. Wir sind jetzt beide ganz allein. Wir haben niemand mehr als uns beide.«
Und sie sagte: »Es ging an, daß ich bei dir lebte, solange ich die Beschützerin und Gefährtin deiner mutterlosen Tocher war. Aber jetzt, wo Nochipa … nun, wo ich nicht mehr die Tante sein kann, die bei euch wohnt, würde es als unschicklich gelten, daß ein unverheirateter Mann und eine unverheiratete Frau im selben Haus zusammenwohnen.«
Und neuerlich errötend, sagte sie: »Ich weiß, unsere geliebte Nochipa kann dir niemand ersetzen. Aber es könnte … ich bin noch nicht zu alt . . .«
Womit sie ihre Stimme verklingen ließ, eine gekonnte Vorspiegelung von Sittsamkeit und der Unfähigkeit, mehr zu sagen. Ich wartete und hielt ihren Blick gebannt, bis die feine Röte, mit der sich ihr Gesicht überzogen hatte, zu einem glühenden Kupferton geworden war, und dann sagte ich:
»Es hätte nicht der Beschwörungen und der Überredung bedurft, Béu. Ich hatte ohnehin vor, dir heute abend genau dies vorzuschlagen. Da du einverstanden scheinst, werden wir morgen heiraten, so früh, wie ich einen Priester wachkriegen kann.«
»Wie bitte?« sagte sie mit versagender Stimme.
»Wie du mir deutlich gemacht hast, bin ich jetzt vollkommen allein. Außerdem bin ich aber auch ein Mann von beachtlichem Vermögen, und wenn ich ohne Erben sterbe, fällt dieses Vermögen an den Schatzmeister. Mir wäre es lieber, es würde nicht Motecuzóma zufallen. Infolgedessen werden wir morgen vom Priester ein Dokument aufsetzen lassen, in welchem bestätigt wird, daß du die Erbin bist, und ein weiteres Dokument über unsere Eheschließung.«
Langsam stand Béu auf, blickte auf mich herab und sagte: »Das ist es nicht, was ich … Daran habe ich nie gedacht, Záa … Ich wollte nur sagen …«
»Und ich habe dir die Vorstellung verdorben«, sagte ich und sah lächelnd zu ihr auf. »All diese Schmeicheleien und das gute Zureden waren nicht nötig. Aber du brauchst sie nicht als vergeblich zu betrachten, Béu. Vielleicht ist das heute abend eine gute Übung gewesen, die dir später einmal zustatten kommt, wenn du eine reiche, aber einsame Witwe bist.«
»Hör auf, Záa!« rief sie. »Du willst einfach nicht hören, was ich dir in vollem Ernst begreiflich machen möchte. Es fällt mir schwer genug, denn für gewöhnlich ist es nicht Sache der Frau, diese Dinge zu sagen …«
»Bitte, Béu, hör auf«, sagte ich und zuckte zusammen. »Wir haben lange genug zusammengelebt und haben uns lange genug an unsere Abneigung gewöhnt, die doch auf Gegenseitigkeit beruht. Zu diesem späten Zeitpunkt noch Süßholz zu raspeln, würde uns beiden schwerfallen und vermutlich sämtliche Götter in Erstaunen versetzen. Doch zumindest läßt sich unsere gegenseitige Verachtung formell besiegeln und wäre damit nicht zu unterscheiden von der der meisten anderen verheirateten …«
»Du bist grausam!« fiel sie mir in die Rede. »Du wehrst dich gegen jede zärtliche Regung und willst die Hand nicht sehen, die sich dir entgegenstreckt …«
»Dazu habe ich zu oft den harten Rücken deiner zarten Hand zu spüren bekommen, Béu. Und stehe ich nicht im Begriff, sie abermals zu spüren zu bekommen? Schickst du dich nicht gerade an zu lachen und mir klarzumachen, daß dein Gerede von Heirat nichts weiter ist als wieder einmal ein übler Streich?«
»Nein«, sagte sie. »Ich habe es ernst gemeint. Und du?«
»Ich auch«, sagte ich und erhob grüßend meinen Becher mit Octli. »Mögen die Götter sich unser beider erbarmen!«
»Ein beredter Antrag«, sagte sie. »Aber ich nehme ihn an, Záa. Ich werde dich morgen heiraten.« Damit lief sie auf ihre Kammer.
Ich blieb sitzen, trank trübsinnig meinen Octli und betrachtete die anderen Gäste der Herberge. Die meisten von ihnen waren Pochtéca auf der Heimreise nach Tenochtítlan, die ihre
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