Der Azteke
mitzunehmen, sie hätten sie nicht an dieser Straße zurückgelassen, um sich eine Rückzugsmöglichkeit offenzuhalten. Sie wußten, daß sie nie wieder zurückkommen konnten.«
Ich blieb nicht mehr viele Tage in Aztlan, wiewohl mein Vetter, der andere Mixtli, es vermutlich am liebsten gesehen hätte, wenn ich mondelang geblieben wäre. Er hatte sich zu dem Entschluß durchgerungen, die Künste der Wortkunde und der Bilderschrift zu erlernen, und bestach mich gleichsam damit, es ihm beizubringen, indem er mir eine eigene Hütte und eine seiner jüngeren Schwestern gab, mir darin Gesellschaft zu leisten. Sie war in keiner Weise jener Schwester zu vergleichen, die einst Tzitzitlíni geheißen, doch war sie ein hübsches Mädchen, durchaus willfährig und eine angenehme Gefährtin. Gleichwohl mußte ich ihrem Bruder sagen, daß sich die Kunst der Wortkunde nicht so schnell erlernen ließ, wie, sagen wir, die Kunst des Fröschefangens. Immerhin brachte ich ihm bei, Dinge darzustellen, indem man vereinfachte Bilder von ihnen zeichnete, und dann sagte ich:
»Um zu lernen, wie man mit diesen Bildern gesprochene Sprache festhält, brauchst du einen Lehrer, der sich darauf versteht, die Bilderschrift zu lehren, und ein solcher bin ich nicht. Einige der besten findest du in Tenochtítlan, und so rate ich dir, dorthin zu gehen. Ich habe dir erklärt, wo es liegt.«
Er stieß ein enttäuschtes Knurren aus und verfiel damit wieder in seine anfängliche Säuerlichkeit: »Bei den steifen Gliedmaßen der Göttin, du willst einfach fort von hier. Und ich kann das nicht. Ich kann nicht mein Volk führerlos zurücklassen unter dem fadenscheinigen Vorwand, daß ich mir plötzlich in den Kopf gesetzt hätte, etwas Bildung zu erwerben.«
»Es gibt einen wesentlich besseren Grund«, sagte ich. »Die Mexíca haben ihren Herrschaftsbereich weithin ausgedehnt, doch an der nördlichen Küste dieses West-Meeres haben sie noch keine Kolonie. Der Uey-Tlatoáni wäre begeistert zu erfahren, daß er hier bereits Verwandte sitzen hat. Wenn du dich Motecuzóma vorstelltest und ein passendes Geschenk zur Einführung mitbrächtest, könnte es sehr wohl sein, daß er dich zum Herrscher über eine wichtige neue Provinz des Dreibunds bestellt, einer Provinz, die zu regieren wesentlich lohnender ist als sie es jetzt ist.«
»Was für ein passendes Geschenk?« sagte er finster. »Ein paar Fische? Oder Frösche? Oder eine meiner Schwestern?«
Ich tat so, als fiele es mir gerade in diesem Augenblick erst ein, und sagte: »Warum nicht den Stein der Coyolxaúqui?«
Erschrocken fuhr er zurück. »Unser einziges heiliges Bild?«
»Motecuzóma mag zwar von der Göttin nicht sonderlich viel halten, aber Kunstwerke schätzt er durchaus.«
Er schnappte nach Luft. »Den Mondstein wegschenken? Dann würde ich mehr gehaßt und geschmäht werden als die verfluchte Yaki-Zauberin, von der Großvater Canaútli erzählt.«
»Ganz im Gegenteil«, sagte ich. »Sie hat Zwietracht unter den Azteca gesät und dafür gesorgt, daß sie sich spalteten. Du könntest dafür sorgen, daß sie sich wieder miteinander versöhnen – und mehr als nur das. Ich würde meinen, dieses Bildnis wäre ein geringer Preis für all die Vorteile, welche es böte, sich wieder mit dem mächtigsten Volk zu vereinigen, welches man in allen Landen kennt. Überleg es dir einmal!«
Und so kam es, als ich meinem Vetter Mixtli, seiner hübschen Schwester und den anderen Familienmitgliedern Lebewohl sagte, daß er murmelte: »Allein könnte ich den Stein nicht bis ganz nach Tenochtítlan rollen. Ich muß noch andere davon überzeugen …«
Ich hatte keinen Grund mehr, allein weiter auf Entdeckungsreisen zu gehen: wenn ich jetzt weiter umherzog, würde ich es nur um des Umherziehens willen tun. Es war Zeit, daß ich nach Hause zurückkehrte; und Canaútli riet mir, am schnellsten käme ich voran, wenn ich geradenwegs ins Landesinnere ginge, wo die Sümpfe zuletzt aufhörten, dann über die Berge der Cora und der Huichol hinüberzuwandern. Ich will euch aber nicht erzählen, wie ich durch diese Berge vorankam; es waren nichts weiter als abermals Berge – und auch nicht von den verschiedenen Völkern, welche ich dort kennenlernte; es waren nichts weiter als wieder Bergvölker. Offen gestanden erinnere ich mich auch kaum an etwas auf diesem Abschnitt meiner Heimreise, dazu war ich viel zu sehr mit vielen Dingen beschäftigt, die ich bereits gesehen und gelernt … und zu überdenken gelernt
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