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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Geschöpfen, welche auf den noch sichtbaren Wandmalereien zu sehen sind.
    Dort hielt ich mich jedoch nicht lange auf. Ich schritt vielmehr die Hauptstraße der Stadt entlang, so lang und so breit wie die Sohle eines nicht gerade kleinen Tals, nur viel ebener. Wir nannten sie In Micaótli, Die Allee Der Toten, und wiewohl auf ihr überall dichtes Gesträuch wuchert, durch welches Schlangen gleiten und Kaninchen hoppeln, bietet sie immer noch einen angenehmen Spaziergang. Über einen Ein Langer Lauf lang, wird sie zu beiden Seiten von Tempelruinen gesäumt – bis man sie halb hinter sich hat. Etwa in der Mitte der Straßenlänge wird die Reihe der Tempel linkerhand unterbrochen von der unfaßlich gewaltigen Masse des Icpac Tlamanacáli, von der unsere Weisen Männer meinen, es sei die Sonnenpyramide gewesen.
    Wenn ich sage, daß die gesamte Stadt Teotihuácan eindrucksvoll ist, die Sonnenpyramide jedoch alles andere als klein erscheinen läßt, könnt ihr euch vielleicht eine Vorstellung davon machen, wie gewaltig groß und majestätisch sie ist. Sie ist ohne weiteres noch ein halbes Mal größer als die Große Pyramide von Tenochtítlan, und das war immerhin die größte, welche ich jemals gesehen hatte. In der Tat, kein Mensch kann sagen, wie groß die Sonnenpyramide wirklich ist, weil ein Großteil ihrer Fundamente unter dem Erdreich vergraben liegt, welches Wind und Regen dort hingetragen und – geschwemmt hat in all den Zeitaltern, seit Teotihuácan verlassen wurde. Was jedoch von ihr heute zu sehen und zu messen ist, ist gewaltig.
    Unten, zu ebener Erde, mißt jede der vier Seiten von einer Ecke zur anderen zweihundertundvierzig Schritt, und hoch ist sie, wie zwanzig gewöhnliche Häuser übereinandergestellt.
    Die gesamte Oberfläche der Pyramide ist zerrissen und zerklüftet, weil die glatten Deckplatten sich von den vorkragenden Felsstümpfen, die ihnen Halt gaben, gelöst haben. Und lange bevor diese Schieferplatten herunterrutschten und zu Füßen der Pyramide in Tümmer gingen, hatten sie wohl, wie ich vermute, längst ihrerseits die Hülle aus weißem und farbig bemalten Gips abgestoßen. Das Bauwerk erhebt sich in vier Schichten, von denen eine jede in einem leicht unterschiedlichen Winkel ansteigt, aus keinem anderen Grunde denn dem, daß diese ausgeklügelte Anlage das Auge trügt und das ganze Bauwerk womöglich noch gewaltiger erscheinen läßt als es ist. Folglich laufen vier Terrassen um die vier Seiten herum und dehnt sich oben eine quadratische Plattform, auf welcher einst ein Tempel gestanden haben muß. Es kann jedoch nur ein sehr kleiner Tempel gewesen sein, völlig ungeeignet für Zeremonien, bei denen Menschenopfer dargebracht wurden. Die Treppe, welche die Vorderseite der Pyramide hinaufführt, ist heute zerbrochen und verfallen, so daß die einzelnen Stufen kaum noch zu erkennen sind.
    Die Sonnenpyramide schaut nach Westen, also nach Sonnenuntergang, und diese Vorderseite war noch flammen- und goldfarben übergossen, als ich sie erreichte. Doch in diesem Augenblick, da die Schatten der Tempelruinen auf der gegenüberliegenden Seite länger wurden, krochen sie die Vorderseite der Pyramide hinauf wie gezackte Zähne, welche in sie hineinbissen. Eilig kletterte ich die Stufen hinan, die noch vorhanden waren, und bemühte mich, die ganze Zeit über im zirkonfarbenen Sonnenlicht zu bleiben und mich eben über und außer Reichweite der näherkommenden Schattenzähne zu halten.
    Ich trat auf die Plattform oben hinaus im selben Augenblick, da das letzte Sonnenlicht von der Pyramide verschwand. Schwerfällig und schweratmend setzte ich mich nieder. Von irgendwo kam ein Schmetterling, der noch spät unterwegs war, emporgegaukelt und ließ sich gesellig in meiner Nähe nieder. Es war ein sehr großer und vollkommen schwarzer Schmetterling, welcher sanft seine Flügel hob und senkte, gleichsam als keuche auch er nach dem langen Weg herauf. Ganz Teotihuácan lag mittlerweile im Zwielicht da, und es dauerte nicht lange, und Nebel stieg vom Boden auf. Trotz ihrer Massigkeit schien die ganze Pyramide, auf der ich saß, ohne feste Verbindung auf der Erde zu schweben. Die Stadt, eben noch flammend rot und gelb, war jetzt mit einem gedämpften Blau und Silber übergossen. Man sah ihr das ehrwürdige Alter an. Sie sah älter aus als die Zeit und dabei so fest gegründet, daß sie immer noch überdauern würde, wenn alle Zeit längst vergangen war.
    Ich ließ meinen Blick von einem Ende der Stadt zum anderen

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