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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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auf die Straße hinaustraten, fuhr der alte Mann fort: »Erfahre denn, Vetter Tepetzálan, die Dinge, deren wir Erinnerer uns erinnern. In längst vergangener Zeit beschränkten wir Azteca uns nicht auf diese eine Stadt. Aztlan war damals die Hauptstadt eines mächtigen Reiches, welches sich von dieser Küste bis hoch ins Gebirge hinein erstreckte. Damals gehörten zu den Azteca eine Reihe von Stämmen, welche wiederum aus vielen Calpultin-Sippen bestanden. Sie standen unter der Herrschaft eines einzigen Tlatocapili, der nicht – wie mein Schwiegersohn – nur dem Namen nach ein Häuptling war. Sie waren ein starkes Volk, aber ein friedliebendes Volk, zufrieden mit dem, was es hatte, und sie fanden, daß die Göttin gut für sie sorge.«
    »Bis einige von diesen Leuten einen größeren Ehrgeiz entwickelten«, meinte ich.
    »Bis einige von ihnen Schwächen zeigten!« wies er mich scharf zurecht. »In den Geschichten wird berichtet, daß einige von ihnen während der Jagd hoch in den Bergen einem Fremdling aus einem fernen Land begegneten. Dieser übergoß sie mit Hohn, als er von ihrer schlichten Lebensweise und ihrer anspruchslosen Religion hörte. Dieser Fremdling erklärte: ›Warum verehrt ihr von den zahllosen Göttern, die es gibt, ausgerechnet die allerschwächste, die Göttin, welche verdientermaßen gedemütigt und erschlagen wurde? Warum verehrt ihr nicht den, der sie überwand, den starken und wilden und männlichen Gott Huitzilopochtli?‹«
    Ich überlegte: Wer mochte dieser Fremdling gewesen sein? Vielleicht einer von den alten Toltéca? Nein, wenn einem Toltécatl daran gelegen gewesen wäre, die Azteca von der Coyolxaúqui-Verehrung zu befreien, hätte er ihnen als Ersatz den gütigen Gott Quetzalcóatl empfohlen.
    Canaútli fuhr fort: »Das waren die ersten unseres Volkes, welche dem bösen Einfluß des Fremdlings erlagen und anfingen, sich zu verändern. Der Fremdling sagte: ›Verehrt Huitzilopochtli!‹, und sie taten es. Nach unseren Erinnerern brachten sie die ersten Menschenopfer dar, welche jemals von Menschen dargebracht wurden, die nicht regelrechte Wilde waren. Sie feierten ihre Zeremonien heimlich, in den sieben großen Berghöhlen, und sie sorgten dafür, nur das Blut von überflüssigen Waisen und alten Leuten zu vergießen. Der Fremdling sagte: ›Huitzilopochtli ist der Gott des Krieges. Laßt euch von ihm führen, reichere Lande zu erobern‹. Und mehr und immer mehr von unseren Leuten hörten auf ihn, taten, wie geheißen, und brachten mehr und immer mehr Opfer dar. Der Fremde drängte: ›Gebt Huitzilopóchtli Nahrung, auf daß er noch stärker werde, und er wird euch führen, ein Leben zu gewinnen, besser, als ihr es euch jemals hättet träumen lassen.‹.
    Und der Fehlgeleiteten wurden immer mehr, sie wurden immer unzufriedener mit der hergebrachten Lebensweise und brannten immer mehr darauf, Blut zu vergießen …«
    Er hielt inne und stand schweigend einen Augenblick da. Ich sah um mich, auf die Männer und Frauen, welche auf der Straße an uns vorübergingen. Diejenigen, welche von den Azteca übriggeblieben waren. Kleide sie etwas besser, dachte ich, und es könnten Mexíca-Bürger sein, wie sie auf jeder Straße von Tenochtítlan herumlaufen. Nein, kleide sie ein wenig besser und ziehe ihnen ein kräftigeres Rückgrat ein.
    Canaútli fuhr fort: »Als der Tlatocapili erfuhr, was in jenen Randgebieten seiner Lande geschah, begriff er, wer die ersten Opfer des neuen Kriegsgottes sein würden, nämlich die friedliebenden Azteca, welche sich immer noch mit ihrer unkriegerischen Göttin Coyolxaúqui zufriedengaben. Und warum auch nicht? Was bot sich denn als erste und leichte Eroberung für die Anhänger des Huitzilopóchtli an, wenn nicht sie? Nun, der Tlatocapili verfügte zwar nicht über ein Heer, gebot jedoch über eine starke und ergebene Hausmacht aus Stadtwachen. Er und sie zogen in die Berge und fuhren herab auf die Fehlgeleiteten, überrumpelten sie und erschlugen viele von ihnen. Den Rest entwaffnete er, nahm ihnen alle Waffen weg, welche sie besaßen. Und belegte all diese verräterischen Männer und Frauen mit einem Bannfluch. Er sagte: ›Ihr wollt also eurem abscheulichen neuen Gott folgen? Dann nehmt ihn und nehmt eure Familien und Kinder und folgt eurem Gott weit in die Ferne. Ihr habt Zeit bis morgen; wer dann noch hier ist, wird hingerichtet‹. Und so waren sie bis zum Morgengrauen fort; wie groß ihre Zahl war, weiß man heute nicht mehr.«
    Nach einer Pause

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