Der Azteke
die Speere lässig geschultert. Hinter diesen in Reih und Glied dahinziehenden Soldaten kam ein ganzer Schwall von Bürgern aus Ixtapalápan und anderen Ortschaften auf dem Vorgebirge, neugierig auf den noch nie dagewesenen Anblick kriegerisch aussehender Fremder, welche, ohne auf irgendwelchen Widerstand zu stoßen, in die bislang unangreifbare Stadt Tenochtítlan einmarschierten.
Als sie die Dammstraße bei der Feste Acachinánco halb hinter sich hatten, traf die Prozession auf die ersten offiziell zu ihrer Begrüßung abgeordneten Würdenträger: den Verehrten Sprecher Cacamatzin von Texcóco und viele Acólhua-Edelleute, welche mit Acáltin über den See gekommen waren, sowie Edelleute der Tecpanéca aus Tlácopan, der dritten Stadt des Dreibunds. Diese auf das prächtigste gewandeten Herren übernahmen demütig wie Sklaven die Führung, fegten die Dammstraße mit Besen und streuten Blütenblätter bis zu der Stelle, wo die Dammstraße auf die Insel traf. Motecuzóma war mittlerweile in seinem elegantesten Tragstuhl aus seinem Palast herausgetragen worden. Ihn begleitete eine zahlreiche und eindrucksvolle Abordnung seiner Adler-, Jaguar-und Pfeilritter sowie sämtliche Damen und Herren seines Hofstaats, darunter ich, Herr Mixtli und meine Dame Béu.
Zeitlich war alles so abgestimmt worden, daß unsere Prozession am Rande der Insel – am Eingang der Stadt – genau im selben Augenblick eintraf wie die uns entgegenkommende. Die beiden Kolonnen hielten inne, als sie etwa zwanzig Schritt voneinander entfernt waren. Cortés schwang sich aus dem Sattel und reichte sein Banner Malintzin. Im selben Augenblick wurde Motecuzómas von einem Baldachin überdeckter Tragstuhl von den Trägern abgesetzt. Als er aus den bestickten Vorhängen heraustrat, waren wir alle überrascht über sein Gewand. Selbstverständlich trug er seinen schillerndsten langen Umhang, denjenigen, welcher ganz und gar aus schimmernden Kolibrifedern bestand, und eine Krone aus Quetzal Tototl-Federn sowie viele Medaillons und andere Schmuckstücke von außerordentlicher Pracht. Aber er trug nicht seine goldenen Sandalen – er war barfuß –, und keiner von uns Mexíca war besonders erfreut darüber, daß der Verehrte Sprecher Der Einen Welt unbedingt diese symbolische Demut bekunden mußte.
Er und Cortés ließen ihr Gefolge stehen und schritten langsam über den freien Raum aufeinander zu. Motecuzóma vollführte die Geste des Erdeküssens, und Cortés erwiderte mit jener Geste, von welcher ich heute weiß, daß sie der Handgruß der spanischen Soldaten und Offiziere ist. Wie es sich gehörte, übergab Cortés das erste Geschenk, beugte sich vor und schlang um den Hals des Verehrten Sprechers eine moschusduftende Kette, die offenbar aus Perlen und blitzenden Edelsteinen bestand – billigem Tand aus Perlmutt und Glas, wie sich später herausstellte. Motecuzóma seinerseits legte Cortés eine Doppelkette aus den seltensten Meeresmuscheln um, gesäumt von einigen hundert fein gearbeiteten Anhängern aus purem Gold in Form verschiedener Tiere. Sodann hielt der Verehrte Sprecher eine lange und blumige Willkommensansprache. Malintzin, eine fremdländische Flagge in jeder Hand, trat mutig vor und stellte sich neben ihren Herrn, um Motecuzómas Worte zu dolmetschen und hinterher die Ansprache von Cortés, die nicht ganz so lang ausfiel.
Motecuzóma kehrte zu seinen Tragstuhl zurück, Cortés bestieg wieder sein Pferd, und die Prozession von uns Mexíca ging jener der Spanier durch die Stadt voran. Die in Reih und Glied dahinstapfenden Soldaten marschierten nicht mehr ganz so geordnet, rempelten sich gegenseitig an, traten sich auf die Hacken und gafften mit großen Augen alles an – die wohlgekleideten Menschen, welche die Straßen säumten, die prachtvollen Gebäude und die hängenden Dachgärten. Im Herzen Der Einen Welt hatten die Pferde Schwierigkeiten, auf dem glatten Marmorboden des gewaltigen Platzes nicht auszurutschen; Cortés und die anderen Reiter mußten absteigen und ihre Tiere am Zaum führen. Wir zogen an der Großen Pyramide vorüber und wandten uns nach rechts, dem alten Palast des Axayácatl zu, wo ein gewaltiges Festmahl für diese Hunderte von Besuchern und die gleichfalls nach Hunderten zählenden Mexíca aufgetragen wurde, welche sie in Empfang genommen hatten. Es müssen unzählige verschiedene Gerichte dagestanden haben, auf Tausenden von Platten goldausgelegter Lackarbeit angerichtet. Als wir am Speisetisch Platz nahmen,
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