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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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führte Motecuzóma Cortés auf den für beide vorbereiteten erhöhten Platz und sagte dabei:
    »Das hier war der Palast meines Vaters, welcher einer meiner Vorgänger als Uey-Tlatoáni war. Er ist gründlich gesäubert und eingerichtet und geschmückt worden, um würdig zu sein für so erlauchte Gäste. Er enthält Wohnungen für Euch und Eure Dame« – Letzteres sagte er mit einem gewissen Abscheu – »sowie für Eure hauptsächlichsten Offiziere. Für den Rest Eures Gefolges stehen weitläufige und passende Räume zur Verfügung. Ihr könnt über ein ganzes Gefolge von Sklaven gebieten, Euch aufzuwarten, für Euch zu kochen und sich um alle Eure Bedürfnisse zu kümmern. Der Palast soll Eure Residenz sein, solange Ihr in diesen Landen weilt.«
    Ich glaube, außer Cortés hätte jeder andere Mann in einer so heiklen Lage dieses Angebot abgelehnt. Cortés wußte, daß er nur ein Gast war, der sich selbst eingeladen hatte und im Grunde eher als unwillkommener Eindringling angesehen wurde. Dadurch, daß er diesen Palast zu seiner Residenz machte – auch wenn noch rund dreihundert seiner eigenen Soldaten unter diesem Dach untergebracht waren –, brachte der Capitán-General sich in eine wesentlich gefährdetere und gefährlichere Lage, als wenn er in dem Palast in Cholólan geblieben wäre. Hier war er Motecuzóma stets unter den Augen und ständig in Motecuzómas Reichweite, sollte die ihm nur widerwillig in Freundschaft entgegen gestreckte Hand plötzlich beschließen, zuzupacken und ihn in den Würgegriff zu nehmen. Damit wären die Spanier Gefangene – ungefesselt, aber gefangen – in Motecuzómas eigener Hochburg, dieser Stadt, die sich auf einer Insel erhob, einer Insel, umgeben von einem See, und einem See, wiederum umgeben von all den Städten und Völkern und Heeren des Dreibunds. Wenn Cortés in der Stadt blieb, konnte er nicht einmal seine eigenen Verbündeten ohne weiteres herbeirufen, und selbst wenn er sie rief, konnten diese Verstärkungen es schwer haben, ihm zu Hilfe zu eilen. Denn Cortés muß, während er über den südlichen Damm hinwegzog, bemerkt haben, daß man die Brücken über den verschiedenen Durchfahrten für die Kanus leicht hochziehen und entfernen konnte, um zu verhindern, daß man weiterkam. Er muß auch geahnt haben, daß die anderen Dammstraßen ähnlich gebaut waren, was selbstverständlich der Fall war.
    Der Capitán-General hätte Motecuzóma taktvoll beibringen können, daß es ihm lieber wäre, seine Residenz auf dem Festland aufzuschlagen und die Stadt von dort aus zu den verschiedenen notwendigen Besprechungen aufzusuchen. Aber das tat er mitnichten. Er dankte Motecuzóma vielmehr für das gastliche Angebot, als ob ein Palast ihm mit größter Selbstverständlichkeit zustünde und als ob er es verächtlich von sich weise, auch nur darüber nachzudenken, daß die Annahme dieses Angebots mit irgendwelchen Gefahren verbunden sein könnte. Wiewohl ich Cortés keineswegs liebe und auch für seine Verschlagenheit und seine Arglist keinerlei Bewunderung hege, muß ich doch einräumen, daß er angesichts einer Gefahr stets ohne zu zögern und mit einer Unerschrockenheit handelte, die allem Hohn sprach, was andere Männer gesunden Menschenverstand nennen. Vielleicht spürte ich, daß er und ich uns in unserem Wesen sehr ähnlich waren, denn auch ich bin mein Lebtag gefährliche Risiken eingegangen, welche andere Männer als aberwitzig gemieden hätten.
    Gleichwohl vertraute Cortés sein Überleben nicht gänzlich dem Zufall an. Ehe er und seine Mannen die erste Nacht in dem Palast verbrachten, ließ er unter größten Mühen mit dicken Stricken vier seiner Kanonen auf das Dach des Palastes hieven – ohne sich darum zu scheren, daß bei diesem Unternehmen der zu seinem Ergötzen neu angelegte Blumengarten zertrampelt wurde – und stellte die Kanonen dergestalt auf, daß sie jeden Zugang zum Palast bestreichen konnten. Außerdem gingen in dieser und in allen folgenden Nächten Soldaten mit geladenen Hakenbüchsen auf dem Dach und unten zu ebener Erde Wache.
    An den folgenden Tagen führte Motecuzóma persönlich seine Gäste durch die Stadt – begleitet von seiner Weiblichen Schlange und anderen Weisen Männern vom Staatsrat sowie einigen seiner eigenen Palastpriester, welche in ihren Mienen äußerste Mißbilligung bekundeten, und von mir. Auf ausdrückliches Verlangen von Motecuzóma befand ich mich immer in seiner Begleitung, weil ich ihn vor Malintzins verschlagener Neigung

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