Der Azteke
darauf angewiesen, noch weitere Verbündete zu gewinnen. Unsere Mäuse schätzten, daß sein Heer beim Abmarsch von Cholólan zwanzigtausend Mann stark war, zu welchen noch einige achttausend Träger kamen, welche die Ausrüstung und den Proviant trugen. Die Marschkolonne war zweimal Ein Langer Lauf lang, und es dauerte einen viertel Tag, ehe sie an irgendeinem bestimmten Punkt vorübergezogen war. Übrigens trug inzwischen jeder Krieger und Träger ein Zeichen, welches ihn als Angehörigen von Cortés' Streitmacht auswies. Da die Spanier sich immer noch beklagten, sie »könnten die verdammten Indianer nicht auseinanderhalten« und daher im Schlachtengetümmel Freund und Feind nicht unterscheiden, hatte Cortés angeordnet, daß alle seine Eingeborenentruppen einen einheitlichen Kopfputz trügen: eine hohe Krone aus Mazátla-Gras. Als dieses aus achtundzwanzigtausend Mann bestehende Heer auf Tenochtítlan vorrückte, so sagten die Mäuse, sähe das aus der Ferne aus, als sei eine riesige, geheimnisvoll wogende Grasfläche unterwegs.
Motecuzóma hatte wahrscheinlich überlegt, ob er seiner Weiblichen Schlange sagen solle, sie solle Cortés ziellos um und durch das Bergland herumführen, bis die Eindringlinge entweder verzweifelt erschöpft seien oder sich hoffnungslos verirrt fühlten, daß man sie einfach sich selbst überlassen könnte; doch selbstverständlich befanden sich unter den Acólhua und Texcaltéca und den anderen Truppen aus Einheimischen viele Männer, welche bald hinter diese List gekommen wären. Gleichwohl scheint Motecuzóma Tlácotzin sehr wohl befohlen zu haben, ihnen den Marsch keineswegs leicht zu machen – immer noch in der sehnsüchtigen Hoffnung, daß Cortés die Expedition entmutigt abbrechen werde. Auf jeden Fall führte Tlácotzin sie nicht über eine der leichteren Handelsrouten durch die tiefergelegenen Täler gen Westen, sondern über hochgelegene Gebirgspässe zwischen den Vulkanen Ixtacciuatl und Popocatépetl hinweg.
Wie ich bereits gesagt habe, liegt in diesen Höhen selbst in den heißesten Tagen des Sommers Schnee. Als das Riesenheer hindurchzog, setzte allmählich der Winter ein. Falls überhaupt etwas geeignet war, den weißen Männern allen Mut zu nehmen, so bestimmt die benommen machende Kälte, die eisigen Winde und das Schneetreiben, durch welches sie hindurch mußten. Ich weiß bis heute nicht, wie das Klima in eurer Heimat Spanien ist, doch Cortés und seine Soldaten hatten mittlerweile viele Jahre auf Cuba zugebracht, einer Insel, welche, so habe ich gehört, so sonnenversengt und feucht ist wie nur eines unserer an der Küste gelegenen Heißen Lande. Infolgedessen waren die weißen Männer genauso wie ihre Verbündeten, die Totonáca, mit ihrer Kleidung nicht darauf vorbereitet, der schneidenden Kälte standzuhalten, welche auf der Route herrschte, die Tlácotzin wählte. Später hat er voller Genugtuung berichtet, die weißen Männer hätten furchtbar gelitten.
Jawohl, sie litten und sie beschwerten sich, und vier weiße Männer starben unterwegs; desgleichen gingen zwei ihrer Pferde und mehrere von ihren Jagdhunden sowie vielleicht rund hundert von ihren Totonáca ein, doch alle übrigen standen es durch. Ja, zehn von den Spaniern machten, um zu zeigen, welchen Mumm sie hätten, einen Abstecher mit dem erklärten Ziel, ganz bis hinauf auf den Gipfel des Popocatépetl zu klettern, um in dessen Weihrauch ausstoßenden Krater hinunterzublicken. Soweit sind sie freilich nicht gekommen; aber das hatten ja auch kaum welche von unseren eigenen Leuten je getan oder auch nur versucht. Die Bergsteiger schlossen sich den anderen wieder an, blau und steifgefroren; einigen von ihnen sind später etliche Finger und Zehen abgefallen. Gleichwohl wurden sie sehr von ihren Kameraden dafür bewundert, den Versuch unternommen zu haben, und selbst die Weibliche Schlange mußte widerwillig zugeben, daß die weißen Männer tollkühn, von großer Unerschrockenheit und großer Energie waren.
Tlácotzin berichtete uns auch von den sehr menschlichen Ausrufen des Erstaunens, der Ergriffenheit und des Glücks, als sie endlich aus dem Westen des Passes herauskamen und auf den Berghängen standen, von welchen man das gewaltige Seenbecken unter sich liegen sieht, und wo der fallende Schnee für kurze Zeit seinen Vorhang auftat, um ihnen einen freien Ausblick zu gewähren. Unter ihnen erstreckten sich miteinander verbundene und verschiedenfarbige Wasserflächen, eingebettet in eine Schale
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