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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Zukunft für mich bereithielt, doch eines wußte ich. Wenn es mir bestimmt war, irgendeine mir nicht genehme Aufgabe zu erfüllen, gab es nur zwei Möglichkeiten, dem zu entgehen: mich dazu entweder als unfähig oder aber als zu gut dafür zu erweisen. Und gute Schreiber wurden jedenfalls nicht zu Schilfrohren gemacht, welche die Schärfe des Obsidian niedermähte. Das ist der Grund, warum ich – wenngleich ich klaglos weiterhin das Haus der Leibesstärkung und das Haus des Manierenlernens besuchte – insgeheim und für mich fieberhaft und mit aller Intensität daran weiterarbeitete, Rätsel und Geheimnisse der Kunst der Wortkunde zu lösen.

    Ich würde die Geste des Erdeküssens vollführen, Euer Exzellenz, wenn das heute noch der Brauch wäre. Statt dessen strecke ich meine alten Knochen und erhebe mich wie Eure Mönche, um Euer Eintreten zu ehren.
    Ich betrachte es als eine Ehre, daß Euer Exzellenz unseren kleinen Kreis wieder mit Eurer Gegenwart beehren und von Euch zu hören, daß Ihr die gesammelten Seiten meiner Geschichte bis hierher überprüft und Euch zu Gemüte geführt habt. Allerdings stellen Euer Exzellenz bohrende Fragen in Hinblick auf bestimmte darin erwähnte Ereignisse, und ich muß gestehen, daß diese Fragen mich vor Verlegenheit, ja, sogar mit einer gewissen Scham die Lider senken lassen.
    Jawohl, Euer Exzellenz, meine Schwester und ich fuhren während dieser Jahre des Heranwachsens, von denen ich vor kurzem gesprochen habe, fort, uns gegenseitig zu beglücken. Und jawohl, ich weiß, daß wir damit gesündigt haben, Euer Exzellenz.
    Tzitzitlíni war sich vermutlich von Anfang an im klaren darüber gewesen, ich war jedoch jünger als sie, und so ging mir erst nach und nach auf, daß das, was wir taten, unrecht war. Im Laufe der Jahre bin ich zu der Überzeugung gelangt, daß unsere Frauen immer mehr von den Geheimnissen des Geschlechts und auch früher davon wußten als die Männer.
    Vermutlich ist das bei den Frauen aller Rassen so, eure nicht ausgenommen. Denn von klein auf scheint es ihnen ein tiefes Bedürfnis zu sein, untereinander zu tuscheln und die Geheimnisse auszutauschen, die sie über ihren Körper sowie den Körper des Mannes in Erfahrung bringen – und sich darüber hinaus auch mit alten Witwen und überhaupt alten Frauen zusammenzutun, die – vielleicht, weil ihr eigenes Feuer erloschen ist – nichts mehr genießen, als junge Mädchen mit Lust und bisweilen auch nicht ganz ohne Bosheit in weibliche Listen, Tücken und Irreführungen einzuweihen.
    Ich bedaure aufrichtig, daß ich selbst heute noch nicht genug über meine neue christliche Religion weiß, um alle zu diesem Bereich gehörigen Regeln und Vorschriften zu kennen, wenngleich ich vermute, daß sie durchgehend jeden Ausdruck des Geschlechtlichen – mit der einen Ausnahme der gelegentlichen Paarung zwischen einem christlichen Ehemann und seiner christlichen Gattin zum Zwecke der Zeugung eines christlichen Kindes – mit Mißtrauen und Stirnrunzeln betrachtet. Aber selbst wir Heiden haben hinsichtlich anerkannten geschlechtlichen Verhaltens einige Gesetze und eine ganze Menge Tradition beachtet.
    Ein Mädchen mußte bis zu seiner Heirat Jungfrau bleiben. Außerdem ermunterte man sie, nicht jung zu heiraten, denn unsere Religion berücksichtigte durchaus den Umstand, daß unser Lebensraum und die Dinge, welche die Natur uns bot, um leben zu können, bald zu eng und erschöpft sein würden, wenn jede Generation mehr als eine vernünftige Zahl von Kindern in die Welt setzte. Außerdem brauchte ein Mädchen nicht unbedingt zu heiraten, sondern konnte in die Reihen der Auyaníme eintreten, deren Dienst an unseren Soldaten als durchaus angesehener, wo nicht gar als ein besonders ehrenvoller weiblicher Beruf galt. Kam sie für die Ehe nicht in Frage, weil sie häßlich oder irgendwie sonst zu kurz gekommen war, konnte sie eine Maátitl werden, sich um Bezahlung Männern hingeben und, wie wir es nannten, »rittlings auf die Straße gehen«. Es gab auch einige Mädchen, welche ihre Jungfräulichkeit bewahrten, um die Ehre zu erringen, in einer Zeremonie, zu der eine Jungfrau gehörte, sich als Opfer darbieten zu können; und andere, damit sie ihr Leben lang wie eure Nonnen den Tempelpriestern dienen könnten – wiewohl viel darüber geredet wurde, welcher Art dieser Dienst wohl sei und wie lange diese Jungfräulichkeit anhalte.
    Von unseren Männern wurde Keuschheit vor der Ehe nicht im gleichem Maß erwartet. Immerhin

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