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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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daher die noch warmen Leichen der Xochimique die steilen Treppen all der Pyramiden heruntergerollt kamen, zerlegten die Fleischzerteiler sie in ihre eßbaren Teile und verteilten diese unter den begierig auf den Tempelplätzen Wartenden.
    Die Schädel wurden aufgebrochen und das Hirn herausgeholt, Arme und Beine wurden in handliche Teile zerlegt, Geschlechtsteile und Hinterbacken abgetrennt und Leber und Nieren herausgeschnitten. Diese Fleischportionen wurden nicht einfach einer geifernden Menge vorgeworfen; vielmehr wurden sie mit bewundernswerter Zucht verteilt, und die Bevölkerung wartete mit nicht minder bewundernswerter Zurückhaltung. Es lag auf der Hand, daß die Hirne den Priestern und Weisen vorbehalten blieben, die muskulösen Arme und Beine den Kriegern und die Geschlechtsteile den jungen Ehepaaren; die weniger wichtigen Hinterteile und Innereien wurden an Schwangere, stillende Mütter und Familien mit vielen Kindern verteilt. Was übrigblieb, wie Köpfe, Hände, Füße und Brustkörbe – Teile, die mehr Knochen enthielten als Fleisch –, wurde beiseitegelegt, um später damit das Ackerland zu düngen.
    Möglich, daß dieses Festmahl mit frischem Fleisch von denen, welche den Blumenkrieg geplant hatten, als zusätzlicher Vorteil vorhergesehen worden war, vielleicht aber auch nicht, ich weiß es nicht. Die verschiedenen Völker in diesem Land hatten schon vor langer Zeit jedes wilde Tier aufgegessen, das es noch gegeben hatte, jeden gezähmten Vogel und jeden Hund, der hatte gemästet werden sollen. Sie hatten sich an Eidechsen, Insekten und Kakteen gütlich getan. Niemals jedoch hatten sie ihre Verwandten oder Nachbarn angerührt, die den Harten Zeiten zum Opfer gefallen waren. Vielleicht könnte man es als unvernünftige Verschwendung verfügbarer Nahrung betrachten – aber in allen Völkern hatten die Hungernden ihre verhungerten Mitmenschen entweder der Erde oder dem Feuer überantwortet, wie es bei ihnen Sitte war. Jetzt verfügten sie jedoch dank des Blumenkrieges über eine Fülle von Leichen, die nicht mit ihnen verwandt, sondern ihre Feinde waren – selbst wenn man sie nur dann als Feinde bezeichnen konnte, wenn man den Sinn dieses Wortes übertrieb – und deshalb machten sie sich kein Gewissen daraus, sie zu verspeisen.
    Im Gefolge späterer Kriege sollte es nie wieder zu einer solchen Schlächterei und Schlingerei kommen. Es gab aber auch nie wieder einen solchen Heißhunger aller zu stillen, und deshalb stellten die Priester Regeln und Rituale auf, um den Verzehr von Gefangenenfleisch in eine bestimmte rituelle Form zu bringen. Die siegreichen Teilnehmer späterer Kriege nahmen nur zum Schein einen Bissen von den muskulösen Teilen ihrer toten Feinde zu sich und das im Verlauf einer genau festgelegten Zeremonie. Alles andere Menschenfleisch wurde an die wirklich Armen ausgeteilt – was für gewöhnlich die Sklaven bedeutete – oder an die Tiere in jenen Städten verfüttert, die wie Tenochtítlan einen öffentlichen Tierzwinger unterhielten.
    Menschenfleisch ergibt wie fast jedes andere Fleisch – sofern es genügend abgehangen, gewürzt und richtig zubereitet – ein schmackhaftes Mahl und kann durchaus als Nahrung dienen, wenn kein anderes Fleisch da ist. Doch, genauso, wie nachgewiesen werden kann, daß die Heirat von engen Verwandten unter unseren adeligen Familien nicht zu überlegener Nachkommenschaft führt, sondern oft vielmehr zum Gegenteil, meine ich, ließe sich gleichfalls genauso nachweisen, daß Menschen, die sich ausschließlich von Menschen ernähren, zu einem ähnlichen Niedergang verurteilt sind. Wenn das Blut einer Familie sich am besten dadurch verbessern läßt, daß außerhalb der engeren Verwandtschaft geheiratet wird, wird das Blut eines Menschen am besten dadurch gekräftigt, daß er andere Tiere verzehrt. So wurde, nachdem die Harten Zeiten vorübergingen, die Gepflogenheit, die erschlagenen Xochimique zu verspeisen, für alle – mit Ausnahme der verzweifelten und heruntergekommenen Armen
    – zu nichts weiter als einer weiteren religiösen Übung – und einer von minderer Bedeutung dazu.
    Aber dieser erste Blumenkrieg erwies sich – ob das nun Zufall war oder nicht – als ein solcher Erfolg, daß dieselben sechs Völker auch weiterhin in regelmäßigen Abständen einen solchen Krieg gegeneinander führten, um sich vor einem künftigen Unmut der Götter zu schützen und es nicht noch einmal zu so Harten Zeiten kommen zu lassen. Allerdings waren wir Mexíca

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