Der Azteke
zu tun. Wenn ich irgend etwas an meinem Leben beklagen sollte, so nur, daß die Götter mir das allerletzte Glück versagten: meine Wege und Tage zu enden, als meine wenigen guten Taten getan waren. Das ist lange her, und ich lebe immer noch. Selbstverständlich, wenn ich will, kann ich mir einreden, daß die Götter auch dafür gute Gründe haben. Wenn ich mich entschließe, mich jener fernen Nacht als eines trunkenen Traums zu erinnern, kann ich mir einreden, daß zwei von diesen Göttern mir ihre Gründe sogar genannt haben. Sie sagten mir, mein Tonáli sei es nicht, glücklich oder traurig, reich oder arm, tätig oder müßig, ausgeglichen oder unausgeglichen, klug oder dumm, freudig oder verzagt zu sein – wiewohl ich auch all dies irgendwann einmal gewesen bin. Nach den Göttern sei es mir vom Tonáli einzig bestimmt zu wagen, jede Herausforderung und jede Gelegenheit wahrzunehmen, mein Leben so voll zu leben, wie ein Mensch es nur kann. Dadurch, daß ich das tat, habe ich an vielen Ereignissen teilgenommen, großen und kleinen, historischen und belanglosen. Aber die Götter – wenn es denn Götter waren und wenn sie wahr gesprochen – sagten auch, meine eigentliche Aufgabe bei diesen Ereignissen sei einzig und allein, mich ihrer zu erinnern, und sie denen zu erzählen, die nach mir kommen würden, auf daß diese Geschehnisse nicht vergessen würden. Nun, das habe ich jetzt getan. Bis auf ein paar Kleinigkeiten, von denen Euer Exzellenz vielleicht möchten, daß ich sie noch nachtrage. Sonst wüßte ich nichts mehr zu berichten. Wie ich gleich zu Anfang warnend gesagt habe, konnte ich nichts weiter als mein eigenes Leben erzählen, und das ist nun vorüber. Wenn es noch eine Zukunft gibt, so kann ich sie nicht vorhersehen, und ich glaube, ich würde es auch nicht wollen. Ich erinnere mich jener Worte, welche ich so viele Male während meiner Suche nach Aztlan zu hören bekam, jene Worte, welche Motecuzóma in jener Nacht, da wir im Mondschein oben auf der Pyramide von Teotihuácan saßen, wiederholte wie einen Grabspruch: »Die Azteca sind hiergewesen, aber sie haben nichts mitgebracht, und sie haben auch nichts hiergelassen, als sie fortzogen.« Die Azteca, die Mexíca – welchen Namen ihr auch vorziehen möget –, wir gehen jetzt, wir werden verstreut und aufgesogen, und bald werden wir alle fort sein, und es wird wenig dasein, was an uns erinnert. Auch all die anderen Völker, welche von euren Soldaten überrannt wurden, die ihnen neue Gesetze aufzwangen von euren Edelleuten und Besitzern, welche Sklavenarbeit fordern, von euren Missionspatres, welche neue Götter bringen – auch diese Völker werden vergehen, oder sich so sehr verändern, daß man sie nicht mehr wiedererkennt oder an Altersschwäche zugrunde gehen. Cortés siedelt in diesem Augenblick seine Kolonisten in den Landen am Süd-Meer an. Alvarado ist dabei, die Dschungelstämme Quautemálans zu unterwerfen. Montejo kämpft, um die zivilisierten Maya auf der Halbinsel Uluümil Kutz zu unterwerfen. Guzmán ist dabei, die trotzigen Purémpecha von Michihuácan zu unterwerfen. Zumindest können diese Völker wie wir Mexíca sich damit trösten, daß sie bis zum Letzten gekämpft haben. Mehr leid tun mir eigentlich jene Völker – selbst unsere alten Feinde, die Texcaltéca –, welche es jetzt so bitter bereuen, euch weißen Männern geholfen zu haben, Die Eine Welt so schnell einzunehmen. Soeben habe ich gesagt, ich könne die Zukunft nicht vorhersehen, doch in gewisser Weise habe ich sie bereits gesehen. Ich habe Malintzins Sohn Martin gesehen und die immer größer werdende Schar von kleinen Jungen und Mädchen von der Farbe billiger, verwässerter Schokolade. Möglich, daß das die Zukunft ist: nicht, daß alle die Völker Der Einen Welt ausgerottet werden, sondern daß sie verwässert werden zu einer flauen Schwäche und Gleichheit und Wertlosigkeit. Vielleicht habe ich unrecht; ich bezweifle es; aber ich kann hoffen, daß ich unrecht habe. Möglich, daß es irgendwo noch Menschen in diesen Landen gibt, so abgelegen, so unbesieglich, daß man sie in Frieden läßt, und daß sie sich vermehren, und dann … aquin ixnéntla? Ayyo, fast hätte ich Lust, so lange zu leben, daß ich noch erlebe, was dann geschieht! Meine eigenen Ahnen haben sich nicht geschämt, sich selbst die Unkrautmenschen zu nennen, denn mag Unkraut auch unansehnlich und unerwünscht sein, es ist ungeheuer stark, und es ist fast ein Ding der Unmöglichkeit, es ganz
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