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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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übertriebenen Nase darzustellen. Deshalb kann jeder, selbst wenn er sonst gar nichts von Kunst versteht, auch noch bei der verwirrendsten Statue auf den ersten Blick erkennen, daß es sich um einen Menschen handelt und nicht um einen Jaguar oder eine Schlange oder, wenn du willst, um die froschgesichtige Wassergöttin Chalchihuítlicué.«
    Ich nickte und nahm mir vor, mir das zu merken. Von dieser Zeit an verfuhr ich in meinen Schriftbildern genauso, und später taten andere Schreiber es mir nach und statteten Männer und Frauen stets mit deutlich erkennbaren Nasen aus. Wenn es allen Stämmen bestimmt ist, von der Erde zu verschwinden wie die Toltéca, werden jedenfalls unsere Bücher zurückbleiben. Dann wird jeder zukünftige Leser unserer Bilderschriften den fälschlichen Eindruck gewinnen, jeder Bewohner unseres Landes habe eine gewaltige Nase gehabt wie die Maya; aber zumindest sollten sie keinerlei Schwierigkeiten haben, Menschenbilder von Tier-und Götterbildern in Tiergestalt zu unterscheiden.
    »Dank deiner, Maulwurf, habe ich mir eine ganz besondere Signatur für meine Bilder ausgedacht«, sagte Chimáli und setzte ein verlegenes Grinsen auf. »Andere Künstler signieren ihre Werke mit ihren Namenssymbolen, ich aber verwende dieses hier.« Er zeigte mir ein Brettchen etwa in der Größe seiner Sandale, dessen Oberfläche über und über mit winzigen, gleichwohl messerscharfen Obsidianplättchen besetzt war. Entsetzt fuhr ich zusammen, als er mit der offenen Handfläche hart gegen das Brettchen schlug und sie mir dann immer noch grinsend hinhielt, so daß ich sah, wie das Blut aus seiner Handfläche und aus den Fingern heraussickerte. »Es mag noch andere Künstler namens Chimáli geben, aber du, Maulwurf, hast mich darauf aufmerksam gemacht, daß keine zwei Hände einander gleich sind.« Seine Hand war jetzt vollständig mit seinem Blut bedeckt. »Und so habe ich jetzt eine Signatur, die niemand nachmachen kann.«
    Er schlug mit der Hand gegen den neben ihm stehenden dickbauchigen Wasserkrug, auf dessen brauner Tonoberfläche jetzt rot der Abdruck seiner Hand prangte. Wenn Ihr durch unsere Lande reist, Euer Exzellenz, werdet Ihr diese selbe Signatur auf vielen Wandbildern und in Tempeln und Palästen wiederfinden. Chimáli schuf sehr, sehr viele Kunstwerke, ehe er aufhörte zu arbeiten.
    Er und Tlatli waren an diesem Abend die letzten Gäste, die unser Haus verließen. Beide blieben absichtlich so lange, bis wir die Trommeln und Muscheltrompeten von den Tempelpyramiden vernahmen, die den Beginn des Nemontémtin anzeigten. Während meine Mutter im Haus umherhuschte, um alle Lichter zu löschen, nahmen meine Freunde die Beine in die Hand, um ihr Elternhaus zu erreichen, ehe das Trommeln und Trompeten aufhörte. Das war leichtsinnig von ihnen – denn waren schon die hohlen Tage schlimm, die lichtlosen Nächte waren weit schlimmer –, doch daß die beiden noch geblieben waren, rettete mich davor, wegen meiner Beleidigung des Herrn Freude gezüchtigt zu werden. Weder mein Vater noch meine Mutter konnten während der folgenden Tage etwas so Ernsthaftes wie eine Bestrafung vornehmen, und als das Nemontémtin zu Ende ging, war die ganze Angelegenheit vergessen.
    Gleichwohl vergingen diese Tage für mich nicht gänzlich ereignislos. Zunächst nahm mich Tzitzi beiseite und flüsterte mir eindringlich zu: »Ich muß wohl hingehen und noch einen heiligen Pilz stehlen.«
    »Wie kannst du nur so gottvergessen sein, Schwester!« zischte ich, wenn auch kaum ernstlich entsetzt. »In dieser Zeit beisammenzuliegen, ist selbst für Eheleute verboten.«
    »Nur für Eheleute. Für dich und mich ist es immer verboten, also laufen wir keine besondere Gefahr.«
    Ehe ich irgend etwas entgegnen konnte, stand sie neben dem hüfthohen Tonkrug, in dem unser Wasservorrat für den Haushalt aufbewahrt wurde und der jetzt Chimàlis blutrotes Handzeichen trug. Sie stieß mit aller Macht dagegen, daß er umfiel und zerbrach und das Wasser sich über den Kalksteinboden ergoß. Unsere Mutter kam hereingestürmt und ließ ihr übliches Gezänk auf Titzitlini herniedergehen. Ungeschicktes Ding … ihn zu füllen, braucht man einen ganzen Tag … sollte bis zum letzten Tag des Nemontémtin reichen … keinen Tropfen Wasser im Haus und auch kein Behältnis in dieser Größe …
    Ungerührt sagte meine Schwester: »Mixtli und ich können mit den größten von unseren anderen Krügen zur Quelle gehen und zusammen auf einmal genausoviel

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