Der Azteke
vornherein zum Scheitern verurteilt und möglicherweise sogar als gefahrbringend. Die Tage waren nicht eigentlich richtige Tage, sondern nur die unumgängliche Lücke zwischen dem letzten Mond des Jahres, Xiutecútli, und dem ersten Mond des nächsten Jahres, Cuàhuitl Ehua; als Tage waren sie nicht vorhanden. Aus diesem Grunde sorgten wir dafür, daß unser eigenes Dasein sich so wenig wie möglich bemerkbar machte. Es war die Zeit des Jahres, welche die Götter mit Nichtstun und im Dämmerzustand verbrachten. Selbst die Sonne war blaß, gab keine rechte Wärme ab und stand niedrig am Himmel. Kein vernünftiger Mensch würde etwas tun, was geeignet wäre, die Götter in ihrer Müdigkeit zu stören und sich ihren Zorn zuzuziehen.
So ruhte während dieser fünf hohlen Tage alles Tun. Alle Tätigkeit hörte auf, ausgenommen die allerlebensnotwendigste und unvermeidbare. Alle Herdfeuer und Lichter wurden gelöscht. Es wurde nicht gekocht, es gab nur karges kaltes Essen. Niemand war unterwegs, besuchte andere oder traf sich mit ihnen. Männer und Frauen enthielten sich des Beischlafs. (Desgleichen taten sie während der entsprechenden Zeit vor dem Nemontemtin oder trafen sonst Vorsorge; denn ein Kind, das während der leblosen Tage zur Welt kam, würde diese nur selten überleben.) Überall in unserem Land blieben die Menschen damals zuhause und beschäftigten sich mit belanglosen Dingen, um sich die Zeit zu vertreiben, schliffen ihre Werkzeuge, flickten ihre Netze oder saßen einfach nur herum und bliesen Trübsal.
Da die hohlen Tage selbst als von böser Vorbedeutung galten, war es wohl nur natürlich, daß diejenigen, die an diesem Abend in unserem Haus geblieben waren, sich über Omen und Vorbedeutungen unterhielten. Chimáli, Tlatli und ich saßen ein wenig abseits von den anderen und fuhren fort, unsere Ausbildungsstätten miteinander zu vergleichen, doch schnappte ich dabei das eine oder andere von dem auf, was die Älteren redeten.
»Vor einem Jahr ist Xopan über ihr Töchterchen hinweggestiegen, das auf dem Küchenboden herumkrabbelte. Ich hätte Xopan gleich sagen können, was sie damit dem Tonáli ihrer kleinen Tochter antat. Das Mädchen ist das ganze Jahr hindurch, seit ihre Mutter über sie hinweggestiegen ist, keinen Fingerbreit gewachsen. Sie wird eine Zwergin bleiben, wartet's nur ab.«
»Früher habe ich mich darüber lustig gemacht, aber jetzt weiß ich, daß wahr ist, was man sich über Träume erzählt. Eines Nachts träumte mir, ein Wasserkrug sei zerbrochen, und am nächsten Tag ist dann mein Bruder Xicama gestorben. Er kam im Steinbruch ums Leben, wißt ihr noch?«
»Manchmal machen sich die unheilvollen Folgen erst viel, viel später bemerkbar, so daß man vergessen könnte, welche Gedankenlosigkeit sie hervorgerufen haben. Wie damals, vor Jahren, als ich Teoxihuitl warnte, sie solle vorsichtig mit ihrem Kehrbesen umgehen, und dann doch sah, daß sie ihrem Sohn, der auf dem Boden spielte, damit über den Fuß fegte. Und tatsächlich – als der Junge heranwuchs, heiratete er eine Witwe, fast so alt wie seine Mutter Teoxihuitl, und machte sich im ganzen Dorf lächerlich damit.«
»Ein Schmetterling gaukelte mir um den Kopf herum. Erst einen Monat später erfuhr ich, was das zu bedeuten hatte. Meine einzige Schwester Cueponi war am selben Tag in ihrem Haus in Tlàcopan gestorben. Dabei hätte ich das selbstverständlich schon am Kreisen des Schmetterlings merken müssen, denn sie war meine nächste und liebste Blutsverwandte.«
Ich konnte nicht umhin, über zwei Dinge nachzudenken. Zum einen darüber, daß alle Xaltócaner in der Tat ein sehr wenig feines Nahuatl sprachen, verglichen mit der gepflegten Sprache in Texcóco, an die ich mich in der letzten Zeit gewöhnt hatte. Zum anderen aber darüber, daß von den Omen, von denen unter den Älteren die Rede war, nicht ein einziges jemals etwas anderes verhieß als Unglück, Entbehrungen, Elend oder Leid. Dann wurde ich abgelenkt durch etwas, was Tlatli erzählte und was er von seinem Meisterbildhauer erfahren hatte.
»Menschen sind die einzigen Geschöpfe, die Nasen haben. Nein, lach nicht, Maulwurf. Von allen Lebewesen, die wir schnitzen, besitzen nur Mann und Frau eine Nase, die nicht Teil eines Rüssels oder Schnabels ist, sondern für sich allein aus dem Gesicht herausragt. Und da wir unsere Standbilder mit so vielen schmückenden Einzelheiten ausstatten, hat mein Meister mich gelehrt, eine Menschengestalt immer mit einer etwas
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