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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Seufzer der Erleichterung aus. Ich weiß nicht genau, was Ihr meint, Euer Exzellenz, wenn Ihr etwas von »Parodie auf die Fastenzeit« murmelt, doch am ersten Tag des Monds, da der Baum aufgerichtet wird, begann eine Runde allgemeinen Frohsinns. Die folgenden Tage wurde überall in den größeren Häusern des Adels und der wohlhabenderen unter den Gemeinfreien sowie in den Tempeln der verschiedenen Dörfer in kleinem Kreise gefeiert, und Gäste wie Gastgeber, Priester und Tempelbesucher frönten im Übermaß jenen Dingen, die sie während des Nemontémtin hatten entbehren müssen.
    Diese einleitenden Festlichkeiten mögen in jenem Jahr ein wenig gedämpft verlaufen sein, da wir die Nachricht erhielten, daß unser Uey-Tla-toáni Tixoc gestorben sei. Seine Regierungszeit war allerdings die kürzeste aller Herrscher der Mexíca gewesen und auch eine, die sich durch nichts Besonderes ausgezeichnet hatte. Es ging sogar das Gerücht um, Tixoc sei vergiftet worden – entweder von den Mitgliedern seines Staatsrates, die unzufrieden waren, daß Tixoc so gar kein Interesse zeigte, sich auf neue Kriegszüge einzulassen, oder aber von seinem Bruder Ahuítzotl – Wasser Ungeheuer –, dem nächsten Thronanwärter, der vom Ehrgeiz verzehrt wurde beweisen zu können, um wieviel glänzender er zu regieren verstünde. Jedenfalls war Tixoc eine so farblose Gestalt, daß er nicht sonderlich vermißt und betrauert wurde. So kam es, daß unsere große Lob-und Bittzeremonie für den Regengott Tlaloc, die auf dem Pyramidenplatz im Herzen von Xaltócan abgehalten wurde, gleichzeitig der Thronbesteigung des neuen Verehrten Sprechers Ahuítzotl gewidmet war.
    Die Feierlichkeiten begannen nicht bevor nicht Tonatíu sich in seinem Bett im Westen zur Ruhe begeben hatte; es hätte ja sein können, daß der Gott der Wärme zusah und eifersüchtig auf die Ehren wurde, welche seinem Bruder, dem Gott des Regens, erwiesen wurden. Dann jedoch fanden sich – von den Rändern des offenen Platzes und den Hängen herunterkommend, die um den Platz aufragten – sämtliche Bewohner der Insel auf dem Platz ein, mit Ausnahme derer, die zu alt, zu jung oder krank oder sonst behindert waren, oder die daheim bleiben mußten, diese zu pflegen. Sobald die Sonne untergegangen war, huschten auf dem Platz, der Pyramide und oben auf dem Tempel aufgeregt die schwarzgewandeten Priester umher; sie kümmerten sich um die letzten Vorbereitungen, setzten Unmengen von Fackeln und die künstlich gefärbten Urnenfeuer sowie die süß schwelenden Weihrauchgefäße in Brand. Der Opferstein oben auf der Pyramide sollte in dieser Nacht nicht benutzt werden. Statt dessen war am Fuß der Pyramide, wo jeder Zuschauer hineinblicken konnte, ein gewaltiges steinernes Becken aufgestellt worden, welches bis zum Rand gefüllt war mit Wasser, das zuvor durch besondere Beschwörungen geweiht worden war.
    Als die Dunkelheit sich vertiefte, leuchtete es auch in dem Hain neben und hinter der Pyramide auf: Man hatte zahllose kleine Öllämpchen entzündet, die flackerten, gleichsam als würden die Bäume des Hains von allen Glühwürmchen der Welt umschwirrt. Die Äste der Bäume schwankten unter der Last der Kinder: sehr jungen und kleinen, aber behenden Mädchen und Knaben, angetan mit liebevoll von ihren Müttern gefertigten Kostümen. Manche von den kleinen Mädchen steckten in steifen Papierkugeln, entsprechend angemalt, um verschiedene Früchte darzustellen; andere trugen Halskrausen und Papierröcke, zugeschnitten und gefärbt, um verschiedene Blumen darzustellen. Die Jungen waren womöglich noch farbenprächtiger gekleidet: einige waren über und über mit angeleimten Federn bedeckt, weil sie Vögel darstellen sollten, andere trugen durchsichtige Flügel aus Ölpapier und spielten die Rollen von Schmetterlingen und Bienen. Die ganze Nacht während der feierlichen Zeremonien sprangen die Knaben-Vögel und Knaben-Insekten gewandt von Ast zu Ast und taten so, als »saugten sie den Nektar« aus den Mädchen-Früchten und Mädchen-Blumen.
    Als die Nacht sich gänzlich herniedergesenkt und die gesamte Bevölkerung der Insel sich versammelt hatte, erschien oben auf der Spitze der Pyramide der Oberpriester Tlalocs. Er stieß in sein Muschelhorn, reckte dann gebieterisch die Arme, und nach und nach verstummte der Lärm, den die Menge vollführte. Er hielt die Arme emporgereckt, bis vollkommene Stille auf dem Platz herrschte. Dann ließ er die Arme sinken, und im selben Augenblick sprach Tlaloc

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