Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
von nun an zwei Mütter.
Zu Beginn ihrer Freundschaft mit Renate hatte Ingeborg gefragt: »Glauben Sie, daß wir den Krieg gewinnen werden?«
»Nein, ich glaube es nicht.«
»Aber ich glaube es.«
Renate Riemeck schaltete im Radio die BBC -Nachrichten ein: »Ich glaube Ihnen nicht, wenn Sie sagen, Sie hoffen, Deutschland werde den Krieg gewinnen. Aber wenn Sie wollen, können Sie nun zur Gestapo gehen und denen sagen, ich hätte BBC -Nachrichten gehört.«
Ingeborg Meinhof ging nicht zur Gestapo.
So jedenfalls erzählte Renate Riemeck später, und sie betonte, daß sie und ihre Freundin Ingeborg sich, ohne viele Worte zu machen, gegen die Nazis verbündet hätten. Auch Kontakte zu einer Widerstandsgruppe der Optischen Werke Zeiss/Jena habe es gegeben, nicht so, daß es ihnen hätte gefährlich werden können, aber die gemeinsame Ablehnung des Krieges und des Hitler-Regimes habe ihre Freundschaft gefestigt.
In dieses antifaschistische Bild, das die linke Professorin Renate Riemeck später zeichnete, paßte allerdings nicht, daß sie am 1 . Oktober 1941 , wenige Tage vor ihrem 21 . Geburtstag, unter der Mitgliedsnummer 891 51 51 in die NSDAP aufgenommen wurde.
Beide Frauen promovierten und legten das Staatsexamen ab. Als der Krieg zu Ende war, wurde Jena zunächst von den Amerikanern besetzt. Doch entsprechend dem Abkommen von Jalta zogen sich die Amerikaner zurück, und Jena lag nun in der sowjetischen Besatzungszone. Die beiden Frauen und die Kinder luden ein paar Habseligkeiten auf einen Lastwagen und fuhren in Richtung Westen, nach Oldenburg, wo Freunde und Bekannte lebten. In einem Haus mit verwildertem Garten fanden sie eine Wohnung.
Die Stadt war voller Flüchtlinge aus dem Osten, die Schulen überfüllt. Für Ulrike fand sich nur noch ein Platz in der von katholischen Schwestern geführten Liebfrauenschule.
Renate Riemeck und Ingeborg Meinhof legten am neuen Wohnort ihr zweites Staatsexamen ab und wurden Lehrerinnen. Beide waren 1945 der SPD beigetreten.
Im März 1949 starb Ulrikes Mutter nach einer Krebsoperation an einer Infektion. Von nun an war Renate Riemeck die Mutter der beiden Töchter ihrer Freundin.
Später soll Ulrike Meinhof einmal gesagt haben: »Als meine Mutter starb, ist für mich die ganze Welt gestorben.«
Renate Riemeck war eine erfolgreiche Pädagogin, die sich auch mit wissenschaftlichen Büchern einen Namen machte. 1951 wurde sie Dozentin an der Pädagogischen Hochschule in Oldenburg, im selben Jahr Professorin in Braunschweig. Ulrike blieb in Oldenburg. »Die Kehrseite der Einsamkeit war relative Freiheit«, schrieb Jutta Ditfurth 2007 in ihrer Meinhof-Biographie, für die sie die Informationen über Ulrikes Jugend im wesentlichen von Ulrikes Schwester Wienke bekam. Ulrike habe sich damals zwar für Jungen interessiert, »aber da gab es ein Mädchen, Maria, hübsch, klug und warmherzig«. Ulrike habe sich in Maria verliebt. Später habe Ulrike einmal gesagt, sie habe sich mit ein paar Jungs eingelassen, bevor sie Maria begegnet sei.
1952 wurde Renate Riemeck Professorin am Pädagogischen Institut in Weilburg. Ulrike zog mit ihr nach Weilburg und bewunderte ihre Pflegemutter so sehr, daß sie sie zuweilen imitierte. Renate trug Hosen, Ulrike auch. Renate ließ sich die Haare kurz schneiden, Ulrike ebenfalls. Ulrike versuchte sogar, die Handschrift ihrer Pflegemutter nachzuahmen. Später sagte sie einmal über Renate Riemeck, sie sei »der Prototyp der sadistischen Heimleiterin« gewesen.
Sie lernte viel von der nur vierzehn Jahre älteren Professorin, die sie mit der Geschichte und Literatur des 19 . Jahrhunderts bekannt machte. In der Schule, dem Philippinum in Weilburg, war Ulrike außerordentlich beliebt und galt als ein ungewöhnliches Mädchen, das durch Charme und Intelligenz beeindruckte. Sie las Klassiker und moderne Schriftsteller, legte ihr knappes Taschengeld in Büchern an und fühlte sich, nach den Jahren auf der Oldenburger Schwesternschule, zum Katholizismus hingezogen.
Doch das ernste Mädchen hatte auch Vorlieben, die damals recht ungewöhnlich waren. Sie rauchte Pfeife und selbstgedrehte Zigaretten, und manchmal tanzte sie bis zur Erschöpfung Boogie-Woogie. Und sie widersprach in der Schule, wenn sie etwas als ungerecht empfand. Einem Lehrer, der Wissen und Autorität durch Brüllen ersetzte und sie einmal anschrie, antwortete sie: »Herr Studienrat, es ist nicht üblich, mit einer Schülerin der Oberstufe so laut zu sprechen!« Der Studienrat lief
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