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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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Rechtsanwalt von Plottnitz. »In einem Verfahren, in dem aber und aber Millionen für angebliche Sicherheitsbelange investiert werden, scheinen Bundesanwaltschaft und auch der Senat aus Kostengründen davor zurückzuscheuen, die minimalsten Verteidigungsunterlagen dem Kollegen Heldmann zur Verfügung zu stellen.«
    Der Vorsitzende fand, daß von Plottnitz wegen seiner »überzogenen Formulierungen nicht mehr ernst zu nehmen« sei.
    Um 15 . 30 Uhr erklärte Otto Schily, daß die Angeklagten nicht mehr verhandlungsfähig seien. Bundesanwalt Wunder meinte, Schilys Antrag diene offensichtlich der Prozeßverschleppung.
    »Sehen Sie sich die Angeklagten doch bitte mal etwas näher an, in welchem erbarmungswürdigen körperlichen Zustand sie sich befinden nach drei Jahren Isolierungshaft«, sagte Rechtsanwalt Heldmann. »Fragen Sie sich doch bitte einmal selbst, wer von Ihnen auf der Richterbank dafür kompetent ist, hier Verhandlungsfähigkeit kurzerhand zu deklarieren.«
    Das Gericht lehnte die Unterbrechung der Verhandlung ab.
     
    Um 16 . 05 Uhr konstatierte Otto Schily: »Hier soll mit verhandlungsunfähigen Angeklagten weiter verhandelt werden. Und ich sage Ihnen: Für mich ist die Verhandlung jetzt zu Ende.« Der Rechtsanwalt stand auf und verließ den Saal.
    Heldmann erklärte, sein Mandant habe sich bereits in der Mittagspause als verhandlungsunfähig erwiesen. Er werde ebenfalls den Saal verlassen.
    Als auch die übrigen Wahlverteidiger sich von ihren Sitzen erhoben, sagte der Vorsitzende: »Es ist hochinteressant, daß, wenn das Gericht Ihrer Argumentation nicht stattgibt, Sie gleichwohl glauben, Sie könnten damit die Verhandlung sabotieren und den Saal verlassen. Das ist ein außerordentlich interessantes Beispiel für das, was uns die Notwendigkeit vorgeschrieben hat, hier Vorkehrungen zu treffen, daß das ganze Verfahren nicht dasselbe Schicksal erleidet.« Das Gericht würde die Sitzung nun tatsächlich für heute unterbrechen, nicht weil es wirklich glaube, daß die Angeklagten verhandlungsunfähig seien, sondern weil die Verteidiger den Saal verließen.

5. Die »Verhandlungsfähigkeit«
    ( 5 . Tag, 15 . Juni 1975 )
    Der Vorsitzende eröffnete die Sitzung mit einer Rüge für die Wahlverteidiger. Wenn sie sich noch einmal vor Abschluß der Verhandlung aus dem Saal entfernten, liefen sie Gefahr, entpflichtet zu werden.
    Die Wahlverteidiger waren auch als »Pflichtverteidiger« beigeordnet und wurden somit aus der Justizkasse bezahlt.
    Prinzing kam auf die Frage der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten zu sprechen. Gleich nach Ende des vergangenen Prozeßtages habe er sich bemüht, den behandelnden Arzt der Vollzugsanstalt vorladen zu lassen. Leider befinde sich der Herr Oberregierungsmedizinaldirektor Dr. Henck im Urlaub. Man habe es aber geschafft, ihn mit einem Hubschrauber einfliegen zu lassen.
    Helmut Henck berichtete, daß er sich während des Hungerstreiks um die Gefangenen gekümmert habe, allerdings ohne die Möglichkeit, irgendwelche Untersuchungen durchzuführen. Nur Frau Ensslin und Herrn Raspe, bei denen er während des Hungerstreiks eine vitale Gefährdung vermutet habe, sei im November vergangenen Jahres unter Anwendung von Gewalt Blut entnommen worden. Bei Raspe habe sich eine besorgniserregende Erhöhung der Kaliumwerte im Blut ergeben.
    Man habe in der Anstalt aber durch Einsatz der kostspieligsten Nährsubstanzen alles getan, um den Gesundheitszustand der Gefangenen zu bessern.
    Als sich bei ihnen Sehstörungen einstellten, hätten alle getönte Brillen bekommen.
    Nach Abschluß des Hungerstreiks seien die Gefangenen zusätzlich zur Anstaltskost mit Sonderrationen verpflegt worden: »Mit Butterzulagen, Fleisch, Käse, Ei, Joghurt, Quark. Je nachdem, was im einzelnen verlangt wurde. Und Weißbrot, das wurde dann wieder abbestellt, dann Knäckebrot.«
    Henck erklärte weiter, er habe während seiner Anwesenheit im Verhandlungssaal die Angeklagten beobachten können. »Sie waren sehr intensiv mit sich beschäftigt und haben sich unterhalten. Es fand sich in der Mimik, in der Gestik, in der Unterhaltsamkeit, in der Kommunikation der vier untereinander, zum Teil auch mit den Herren Verteidigern, kein Hinweis, der eine Verhandlungsunfähigkeit rechtfertigen könnte.«
    Rechtsanwalt Schily fragte den Arzt: »War Ihnen eigentlich bekannt, was das Ziel des Hungerstreiks war?«
    »Das Ziel?« fragte Henck.
    »Ja«, sagte Schily.
    »Das Ziel des Hungerstreiks, soweit ich informiert wurde, war,

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