Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Besuchen war es möglich, ausgehöhlte Aktenordner zu übergeben, in denen entweder die Minox oder andere Geräte hätten verborgen sein können.
Was Ende 1976 im Stammheimer Prozeß zum ersten Mal angesprochen wurde, daß nämlich »Gegenstände« in die Haftanstalt transportiert werden konnten, wurde im Herbst 1977 zur Gewißheit: Sprengstoff und Pistolen waren in den siebten Stock gelangt.
Bei der Festnahme Siegfried Haags am 30 . November 1976 hatte die Polizei Papiere gefunden, aus denen die operativen Planungen der RAF für die nächste Zeit hervorgingen. Es war von einem bevorstehenden Kommando-Unternehmen mit dem Decknamen »Margarine« die Rede, von einer Aktion »Big Money« und von der »Big Raushole«. Dazu hieß es »H. M. auschecken«. Die Ermittler des BKA machten sich daran, die Kürzel zu entziffern.
Nachdem außerdem bei Elisabeth von Dyck die Minox-Fotos gefunden und die Behörden darauf aufmerksam geworden waren, daß Gegenstände in die Haftanstalt hineinkommen konnten, wurden die Abhöranlagen im siebten Stock wieder in Betrieb gesetzt.
Die schon erwähnte offizielle Version lautete: Zwischen dem 6 . Dezember 1976 und dem 21 . Januar 1977 seien an insgesamt zwölf Tagen Gespräche zwischen Verteidigern und Mandanten im Hochsicherheitstrakt Stammheim abgehört worden.
34. Ein Richter und seine Freunde
( 171 . Tag, 10 . Januar 1977 )
Im Stammheimer Prozeß kam Richter Prinzing in ernsthafte Schwierigkeiten. Verteidiger Otto Schily hatte brisante Informationen zugespielt bekommen. Danach pflegte der Vorsitzende auf höchst merkwürdige Weise Kontakt zum Bundesrichter Albrecht Mayer, der dem dritten Strafsenat des Bundesgerichtshofes angehörte – jener Instanz, die für Beschwerden über den Senat in Stuttgart-Stammheim zuständig war und außerdem über eine mögliche Revision im Baader-Meinhof-Verfahren zu entscheiden haben würde.
Prinzing besprach sich gelegentlich telefonisch mit Mayer, und nicht nur das. Er hatte ihm Ablichtungen von Prozeßunterlagen zukommen lassen; auf dem »kleinen Dienstweg«.
Doch damit nicht genug. Bundesrichter Albrecht Mayer hatte die ihm von Prinzing überlassenen Unterlagen selbst weitergereicht: an die Presse.
Schily konnte das mit der Kopie eines Briefes belegen, den Mayer an den Chefredakteur der Tageszeitung »Die Welt«, Herbert Kremp, geschrieben hatte.
Mayer und Kremp waren Mitglieder derselben Verbindung.
»Lieber Cartellbruder Kremp!« schrieb der Bundesrichter und erinnerte den »Welt«-Chef an ein Telefongespräch, das die beiden im Frühjahr 1973 geführt hatten und in dem er der »Welt« Vorschläge für eine Veröffentlichung zum Baader-Meinhof-Komplex gemacht hatte. »In derselben Sache wende ich mich heute wiederum an Dich. Vorige Woche ist in Stgt.-Stammheim das frühere Bandenmitglied Gerhard Müller als Zeuge vernommen worden. Ich übersende Dir als Anlagen:
1 . auszugsweise Ablichtungen der kriminalpolizeilichen Vernehmung Müllers,
2 . Auszug aus dem Wortprotokoll vom 13 . Juli 76 .«
Der Richter machte keinen Hehl daraus, was Kremp mit den Unterlagen anfangen solle: »Möchte sich die ›Welt‹ nicht unter dem Aspekt dieser neuen Erkenntnisse noch einmal mit dem Aufsatz im ›Spiegel‹ vom 4 . 9 . 72 befassen? Nicht um meinetwillen, sondern um einmal wieder die Haltung und die Praktiken dieses Blattes deutlich werden zu lassen … Vielleicht könnte diese Aufgabe gar einen Chefredakteur reizen?«
Albrecht Mayer bezog sich auf den angeblichen Kassiberschmuggel des Verteidigers Otto Schily; in den Kremp übersandten Akten ging es vor allem um dieses Thema. Auf eines der Wortprotokolle hatte Prinzing mit der Hand geschrieben, daß Schily im Prozeß immer dann gefehlt habe, wenn es um den »Ensslin-Kassiber« gegangen sei.
Für Rückfragen gab der Bundesrichter seinem »Cartellbruder« noch die Durchwahlnummer beim Bundesgerichtshof und verzichtete, »falls die angeregte Betrachtung erscheinen sollte«, auf ein Belegexemplar: »Ich habe die ›Welt‹ abonniert.«
Schily stellte einen Ablehnungsantrag gegen den Vorsitzenden Dr. Prinzing. Der Antrag wurde zurückgewiesen. Einer der »Zwangsverteidiger« aber, Rechtsanwalt Künzel, stellte einen neuen Befangenheitsantrag: »Die Gründe in [Schilys] Ablehnungsantrag gehören bereinigt, gehören offen diskutiert. Sonst hat dieses Verfahren einen Makel, von dem es nicht mehr befreit werden kann.«
Auch dieser Befangenheitsantrag wurde vom Gericht abgelehnt.
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