Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
mit dem Stammheimer Segen, die Generalbevollmächtigte der inhaftierten RAF -Kader.
Volker Speitel kam später bei der »Aufdeckung der Transportwege« in den Hochsicherheitstrakt besondere Bedeutung zu. Nach dem Tod der Häftlinge im siebten Stock sagte Speitel, der seit 1976 wieder im Büro Croissant für die Gefangenenbetreuung zuständig gewesen war, Rechtsanwalt Arndt Müller habe verschiedene Gegenstände in die »Mehrzweckhalle« transportiert.
In seiner Aussage vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes am 4 . Januar 1978 – zweieinhalb Monate nach den Todesfällen im Hochsicherheitstrakt – erklärte Volker Speitel: »Die Gefangenen haben eines Tages Müller dazu gebracht, einen Brief herauszuschmuggeln, der verschlossen war und den er mir geben sollte. In dem Brief teilten mir die Gefangenen ihre Einschätzung von Müller mit, daß er in seiner stoischen Ruhe dafür prädestiniert wäre, regelmäßig ›Sachen‹ raus- und reinzutransportieren, ich sollte das mal andrehen. Ende August/Anfang September 1976 diskutierten die Gefangenen mit mir zum ersten Mal das Problem, wie man andere Sachen reinbringen könnte, und zwar wollten sie eine Minox oder so was ähnliches. Daß das Ganze damals mehr oder weniger ein Probelauf für andere Sachen sein sollte, ahnte ich zwar, aber mitgeteilt wurde zu diesem Zeitpunkt noch nichts darüber.«
Die »Diskussionen« mit den Gefangenen fanden, so Speitel, per Kassiber statt. Er behauptete, die Gefangenen hätten gewußt, daß die Anwälte beim Betreten des Verhandlungsgebäudes nur oberflächlich durchsucht wurden. Da die Verteidiger ihre Aktentaschen abgeben mußten, seien als Transportmöglichkeit für verbotene Gegenstände nur die Akten geblieben. Im Verhandlungssaal oder der dahinterliegenden Aufenthaltszelle hätten so präparierte Aktenordner dann ausgetauscht werden können. Die Angeklagten seien auf dem Rückweg vom Verhandlungssaal zum Hochsicherheitstrakt nicht mehr durchsucht worden, hätten also die »Akten-Container« mit in die Zelle nehmen können.
Die Schnellhefter, die von den Verteidigern mit in den Verhandlungssaal genommen wurden, seien von den Polizeibeamten an der Eingangstür nie selbst in die Hand genommen und durchsucht worden. Diese »Handakten« hätten die Anwälte nur vor den Augen der Polizeibeamten durchgeblättert. Dadurch sei es nicht aufgefallen, wenn in den Ordnern Gegenstände verborgen waren.
Nachdem er dies alles in Erfahrung gebracht hatte, so behauptete Speitel später, habe er die »Handakten« des Rechtsanwalts Arndt Müller entsprechend präpariert. Er habe Hohlräume in die Akten geschnitten, Gegenstände darin versteckt und die Höhlungen mit Buchbinderleim verklebt. So konnte man, laut Speitel, den gesamten Papierstapel am Rande durchblättern, ohne daß die Aushöhlung und der darin versteckte Gegenstand sichtbar wurden.
Einziges Problem sei das veränderte Gewicht der Akte gewesen. Müller habe es dadurch unterlaufen, daß er die Akten nie aus der Hand gab. Wenn den Durchsuchungsbeamten das nicht genügt hätte, wäre ihm immer noch die Möglichkeit geblieben, das Gerichtsgebäude wieder zu verlassen. »Nach endlosen Bemühungen«, so sagte Speitel später, »und unter dem angedeuteten, aber nie so ausgesprochenen Druck, daß er ein Schwein ist und rausfliegt, wenn er nichts ›bringt‹ – ging dann die Kamera auf dem beschriebenen Weg in den Knast.«
Müller wurde angeblich in dem Glauben gelassen, der Transport der Kamera sei eine einmalige Aktion gewesen. Währenddessen überlegten sich aber die Gefangenen, wie man eine Pistole in den Trakt schmuggeln könnte, ohne daß Müller wüßte, was er in der Akte durch die Kontrollen trage. Um Müller zu täuschen, erklärten die Gefangenen, sie bräuchten unbedingt einen kleinen Kocher in der Zelle. »Kurzum, Müller schleppte dann im Glauben, daß er eine Kochplatte transportierte, die erste Pistole nach Stammheim«, behauptete Volker Speitel. Er habe auch für die Pistole einen Hohlraum in die Handakte geschnitten und die Waffe mit Tempotaschentüchern gepolstert, damit man ihre Umrisse nicht fühlen könne. Von da an seien die Bestellungen nicht mehr abgerissen.
»Insgesamt gingen auf dem oben beschriebenen Weg drei Pistolen und, soweit ich mich erinnere, fünf Stangen Sprengstoff in den Knast. Dazu kam eine Unmenge von Kleinkram wie Kopfhörer, Kabel, Radios, Bügeleisen, Kochplatte. Bei den Waffen war jeweils auch Munition dabei, und zwar
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