Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Erinnerungen Peter-Jürgen Boocks. Jetzt wollten sie alles auf eine Karte setzen und hätten die Idee, Generalbundesanwalt Siegfried Buback während einer Verhandlung im Stammheimer Prozeßgebäude als Geisel zu nehmen. Dazu würden sie Waffen brauchen. Sollte ein weiterer Befreiungsversuch scheitern, würden sie sich selbst das Leben nehmen. Sie könnten nicht mehr länger warten, und solange sie sich noch intakt und kräftig genug fühlten, wollten sie wenigstens ihr Ende selbst bestimmen können. Das dürfe auch kein Thema für die Gruppe insgesamt sein, da ließen die Stammheimer sich von draußen keine Vorschriften machen. »Du darfst nicht mit den anderen darüber sprechen«, wies ihn, so Boock, Brigitte an. »Was auch immer passiert: Die Geschichte ist, es war Mord.« Der Bettgenosse bekam den Auftrag, drei Waffen, Sprengstoff und Zündkapseln zu besorgen und in die Zellen des Hochsicherheitstraktes zu schmuggeln.
Es war eine Szene wie im Film, erinnerte sich Boock später: »Wir haben dann miteinander geschlafen. Es war wunderschön und zugleich tieftraurig. Und damit war das auch zwischen uns besiegelt.«
Es war ihnen beiden klar, daß Brigitte bald wieder abtauchen mußte. Die Behörden würden nur darauf warten, sie wieder einzusperren. Die ganze Situation in Stuttgart im Umfeld des Croissant-Büros spitzte sich immer weiter zu. Dann besprachen Boock und Brigitte Mohnhaupt, daß es vielleicht sinnvoll sei, einen Sprengstoffanschlag auf das Büro des RAF -Anwaltes zu verüben und ihn den Neonazis in die Schuhe zu schieben. Tatsächlich gab es nicht lange danach einen solchen Anschlag auf das Büro. Boock: »Der war von uns.« Es sei die Taktik gewesen, Täter zu Opfern zu machen. »Das haben wir da besprochen, und es sollte niemand sonst erfahren, außer denen, die es machen, und uns beiden.«
In den folgenden Wochen besorgte Peter-Jürgen Boock aus verschiedenen Depots die angeforderten Waffen und den Sprengstoff. Die Patronen wurden zwischen zwei Streifen Tesafilm geklebt, damit sie beim Transport nicht klapperten. Die Gerätschaften sollten von Anwaltsgehilfen in ausgehöhlten Aktenordnern verstaut und dann von Anwälten in den Gerichtssaal geschleppt werden, nach dem Muster des Probelaufs mit der Minox-Kamera. Dann folgten die Waffen und allerhand sonstige Dinge, nach denen die Gefangenen im »sichersten Gefängnis der Welt« verlangt hatten.
Bereits im Laufe des Jahres 1976 war das Büro des Rechtsanwalts Dr. Klaus Croissant in Stuttgart ganz wesentlich zur Unterstützung jener neuen Gruppe genutzt worden, die von Polizei und Bundesanwaltschaft als »Haag-Meyer-Bande« bezeichnet wurde. Doch der Informationsfluß zwischen drinnen und draußen hatte nicht so gut funktioniert, wie es sich Baader und Ensslin vorgestellt hatten. Vor allem Siegfried Haag war darauf bedacht, seine Gruppe vor Einflüssen von außen zu schützen. Dazu gehörten auch die permanenten Ratschläge aus dem Hochsicherheitstrakt. Ensslin und Baader wiederum mißtrauten jedem, der nicht vollständig unter ihrem Befehl stand und entsprechend parierte. Croissant wurde von ihnen als »unbrauchbares bourgeoises Schwein« bezeichnet, sie trauten den im Büro beschäftigten, für die »Illegalen« tätigen Unterstützern nicht, die von Haag geführte Truppe war für sie »ein von Bullen durchsetzter Verein«, zu Aktionen unfähig, weil Haag »sich auf die Gruppe draufgesetzt« habe.
Da paßte die Haftentlassung Brigitte Mohnhaupts gut ins strategische Konzept. Sie sollte die Kanzlei »säubern«. Bereits am ersten Tag hatte sie die Entscheidung verkündet, Rechtsanwalt Croissant aus seiner eigenen Praxis rauszuschmeißen. Als nächstes wurden die ehemaligen Kontaktpersonen zu den »Illegalen« ihrer Funktion enthoben und durch die bisherigen Hilfskräfte Volker Speitel und Elisabeth von Dyck ersetzt. Knapp drei Wochen nach ihrer Entlassung hatte Brigitte Mohnhaupt alle Bereiche des Rechtsanwaltsbüros Dr. Croissant, Müller, Newerla auf die Zuarbeit für die »Illegalen« neu ausgerichtet. »Das Büro war«, wie es die Bundesanwälte später von Volker Speitel erfuhren, »Bindeglied zwischen den inhaftierten und den in Freiheit befindlichen Terroristen, Anlaufstelle für die Unterstützer und Sympathisanten, Mitgliederreservoir für die Illegalen und Agitationszentrale«.
Wie ein neuer Chef in einem Unternehmen hatte Brigitte Mohnhaupt gründlich aufgeräumt. Jetzt hörte alles auf ihr Kommando, denn sie war, ausgestattet
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